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Ritalin-Pillen für das Kind mit einer ADS
Problemkreise und Erfahrungsberichte Betroffener
Diplomarbeit aus dem Heilpädagogischen Institut
der Universität Freiburg / Schweiz
Abteilung Klinische Heil- und Sozialpädagogik

von Wälti, Rahel

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Problemstellung
1.2. Zielsetzung
1.3. Vorgehen

2. Begriffserklärungen und Hintergründe
2.1.Was heisst ADS?
2.2. Was ist Ritalin?
2.3. Entwicklungstendenzen bezüglich Verschreibungspraxis von Ritalin in den USA und in der Schweiz

3. Symptomenkomplex der ADS
3.1. Kernsymptome
3.2. Fakultative Primärsymptome
3.3. Sekundäre Symptome
3.4. ADS- Ein Teufelskreis für betroffene und ihre Umwelt
3.5. Mögliche Ursachen für die Zunahme der ADS-Symptomatik
3.6. Differentialdiagnostischer Entscheidungsbaum
3.7. Erfreuliche Eigenschaften eines Kindes mit einer ADS

4. Ritalintherapie für Kinder mit einer ADS
4.1. Warum Ritalin?
4.2. Was sollte vor einem Einsatz von Ritalin beachtet werden?
4.3. Was kann Ritalin bei einer ADS bewirken?
4.4. Unerwünschte Nebenwirkungen
4.5. Argumente gegen eine medikamentöse Therapie

5. Erfahrungsberichte Betroffener
5.1. Elisabeth, Mutter von vier Kindern mit einer ADS
5.1.1. „Meine Geschichte"
5.1.2. „Meine Einstellung zu Ritalin"
5.2. Weitere Berichte
5.2.1. Anna, Mutter von zwei Kindern mit einer ADS
5.2.2. Maya, Mutter von einem Kind mit einer ADS
5.2.3. Andrea - Bericht einer Erwachsenen mit einer ADS
5.3. Zusammenfassung
6. Persönliche Schlussfolgerungen
7. Zusammenfassung

8. Internet-Adressen
9. Literaturverzeichnis
1. Einleitung

1.1. Problemstellung

Kindern mit einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ADS) wird es weder in der Schule noch im Alltag leicht gemacht. Durch ihr „Anderssein" und ihre auffallenden, meist unreifen Verhaltensmuster stossen sie in ihrer Umwelt auf Unverständnis und Ablehnung.
In den letzen Jahren ist nun zu beobachten, dass solchen Kindern vermehrt eine ärztlich empfohlene Psychopharmakatherapie verschrieben wird. Diese Entwicklung wird von den Medien skeptisch mitverfolgt. Sie berichtet über seit den späten siebziger Jahren grotesk steigende Psychopharmakaverordnungen in den USA und über einen steigenden Trend diesbezüglich in Europa. In dieser Kontroverse wird vor allem Ritalin erwähnt. Vielfach wird über einen Missbrauch des Medikamentes berichtet, um allgemein verhaltensauffällige Kinder ruhiger zu stellen.
Die Akzeptanz von Pädagogen und Eltern bezüglich einer Psychopharmakatherapie bei Kindern mit einer ADS wird grösser. Diese Kinder sind für ihre Umwelt oft kaum erträglich. Weil sie auch die Geduld der einfühlsamsten Eltern, Lehrer und Bezugspersonen erschöpfen, droht ihnen Ablehnung und Isolation. Auch die Familien solcher Kinder geraten sozial ins Abseits. Glaube an die Medizin ist in diesem Fall nachvollziehbar, weil Ritalin schnell und ohne grossen Zeitaufwand verspricht, die unruhigen „Zappelkinder" im Unterricht und Alltag zu beruhigen. Das Interesse der Pharmaindustrie ist einleuchtend: Sie hat einen riesigen Absatzmarkt für ihr Produkt gefunden.
Ritalin ist wohl ein Thema, das wie kaum ein anderes die Gemüter der Eltern von Kindern mit einer ADS bewegt. Das Wissen um die Tatsache, dass es für die ADS einen medikamentösen Behandlungsansatz gibt, hat zugenommen, doch die verschiedenen Ansichten über diese Behandlungsform, welche von den Fachleute zur Zeit auch öffentlich diskutiert werden, sind oft irreführend und widersprüchlich. Die Ängste und Fragen betroffener Eltern sind vielfältig.


1.2. Zielsetzung

In meiner Arbeit werde ich die auffälligen Verhaltensweisen von Kindern mit einer ADS beschreiben, bei welchen eine medikamentöse Therapie mit Ritalin indiziert sein kann. Das Ziel der Arbeit ist, das Psychopharmakon Ritalin im Zusammenhang mit der Behandlung von ADS näher vorzustellen, geschichtliche und wissenschaftliche Hintergründe, Indikationen und Kontraindikationen, Wirkung und Nebenwirkung, Gefahren und Chancen näher zu beschreiben und darzustellen.


1.3. Vorgehen

In einem ersten Teil wird darauf eingegangen werden, was unter den Begriffen „ADS" und „Ritalin" zu verstehen ist. Ausserdem werden als Grundlage wissenschaftliche Hintergründe des Stimulans erörtert und Entwicklungstendenzen bezüglich der Zunahme des Einsatzes von Ritalin in den USA und in der Schweiz aufgezeigt.
Die folgenden zwei Kapitel sollen als theoretische Teile verstanden werden. Sie beschreiben den Symptomenkomplex und die Problemkreise der ADS und ihrer Behandlung mit Ritalin.
Das vierte Kapitel versucht einen Beitrag zu leisten, Vorurteile und Ängste gegenüber diesem Medikament abzubauen, aber auch ganz klar aufzuzeigen, dass Ritalin kein „Wundermittel" oder keine absolute Patentlösung in Bezug auf die ADS-Therapie darstellt und somit Eltern, Pädagogen, Ärzte und Therapeuten auch nicht von jeglicher Anstrengung und Verantwortung entbindet. Grenzen und Nachteile, wie auch Chancen einer Ritalintherapie werden gleichermassen erläutert.
Das fünfte Kapitel beinhaltet Erfahrungsberichte betroffener Mütter von Kindern mit einer ADS und einer erwachsenen Person mit einer ADS. Sie erzählen von ihrem Alltag, ihrer Einstellung zu Ritalin und ihren Ängsten und Sorgen. Ein erster ausführlicher Bericht schildert die Geschichte und die konkreten Alltagsprobleme einer Mutter von vier Kindern mit einer ADS.
Im Schlussteil möchte ich als Heilpädagogin zum Thema Stellung nehmen und kurz einige persönliche pädagogische Schlussfolgerungen ziehen.
Der Einfachheit halber wurde in der ganzen Arbeit nur die männliche Form benutzt.
2. Begriffserklärungen und Hintergründe

2.1. Was heisst ADS?

Es gibt viele Definitionen und Bezeichnungen, welche die Aufmerksamkeitsstörungen der betroffenen Kinder und Jugendlichen zu beschreiben versuchen:

ADS Aufmerksamkeitsdefizitstörung
ADD Attention Deficit Disorder
ADHD Attention Deficit Hyperactivity Disorder
POS Frühkindliches psycho-organisches Syndrom
HKS Hyperkinetisches Syndrom
MCD Minimale cerebrale Dysfunktion
Hyperaktive Kinder meint die unbeherrschte Ausprägung der
Störung (im Gegensatz zur hypoaktiven
Ausprägung, der stillen, verschlossenen Form)
(Thierstein 1998,11)

Diese Begriffe bezeichnen alle die gleiche Störung, auch wenn sich deren Definitionen nicht immer genau decken und die einzelnen Bezeichnungen von verschiedenen Forschungsansätzen ausgehen. Die in der Schweiz bis heute gebräuchlichsten Bezeichnungen für diese Entwicklungsstörung sind die Begriffe POS und ADS. Letztere entspricht den englischen ADD oder ADHD, welche aus den USA stammen und auch in deutschsprachigen Ländern verwendet werden. Wie Lislott Ruf-Bächtiger (1995, 7) bin ich der Meinung, dass die Feststellung, ob ein Kind nun ADD oder POS habe, unwichtig ist, weil diese Diagnose nur ein Sammelbegriff ist, vergleichbar etwa mit der Feststellung, dass ein Kind Fieber hat. Festzuhalten gilt es wohl an dieser Stelle, dass keine Bezeichnung das Störungsbild vollumfänglich und ganzheitlich umfasst und beschreibt. Das häufigste und auffallendste Leitsymptom, nämlich die Aufmerksamkeitsstörung, wird durch den Begriff ADS am deutlichsten hervorgehoben, und deshalb werde ich in dieser Arbeit zukünftig diesen Terminus verwenden. Grundsätzlich handelt es sich bei ADS um ein biologisches Funktionsproblem im Bereich der Steuerung von Aufmerksamkeit und Wahrnehmung. Eine als ADS bezeichnete Störung kann oft auch mit Teilleistungsstörungen (Legasthenie, Dyskalkulie) oder mit einer minimalen cerebralen Hirnschädigung kombiniert sein, ist aber von der Problematik her getrennt zu betrachten. Der Begriff POS hingegen wird als eine Kombination dieser drei Störungen (und anderen Auffälligkeiten) verstanden. (Ryffel 1998, 86)


2.2 Was ist Ritalin?

Bei Ritalin handelt es sich um ein Psychostimulans. „Stimulanzien sind Mittel, die einen wichtigen Körperteil oder ein Organ stimulieren. Körperfunktionen werden beschleunigt und das Gefühl von Energie erzeugt. ... Der Appetit wird unterdrückt, und der Energiepegel bleibt hoch" (Simonsohn 2001, 82).
Ritalin fällt unter das Betäubungsmittelgesetz und „wird in Drogenkreisen als Aufputschmittel „Speed", „Rita" oder „Vitamin R" gehandelt" (Simonsohn 2001, 23).
Bei hyperaktiven Kindern putschen Psychostimulanzien nicht auf, sondern beruhigen eher. Die Substanz Methylphenidat, besser bekannt unter dem Handelsnamen Ritalin®, ist das meistangewendetste Medikament für die Behandlung der ADS beim Kind im Schulalter (Martinius 1984, 102-104). Im Beipackzettel des Herstellers Novartis steht:
„Methylphenidat ist ein zentralnervöses Stimulans mit ausgeprägterer Wirkung auf die mentalen als auf die motorischen Aktivitäten. Sein Wirkungsmechanismus im Menschen ist noch nicht vollständig geklärt, es wird jedoch angenommen, dass die stimulierenden Effekte auf eine kortikale Stimulation und möglicherweise auf eine Stimulation des retikulären Aktivierungssystems zurückzuführen sind. Der Mechanismus, durch welchen Methylphenidat seine mentalen und verhaltensmässigen Wirkungen bei Kindern ausübt, ist weder genau ergründet noch liegen schlüssige Beweise vor, welche aufzeigen, wie diese Effekte mit dem Zustand des Zentralnervensystems zusammenhängen."
Die konkrete Wirkungsweise von Psychostimulanzien wie Methylphenidat ist demnach noch nicht genau erforscht und geklärt.
In der Schweiz wird die 10mg-Tablette am häufigsten verschrieben. Für spezielle Situationen kann eine 1%-Tropflösung eingesetzt werden (1% Tropfen = eine 10mg-Tablette). Das Retardpräparat Ritalin SR enthält 20 mg Wirkstoff und wirkt in der Regel doppelt so lange wie eine normale Ritalintablette. Allerdings bestehen grosse individuelle Unterschiede. Häufig wirkt Ritalin SR langsamer und klingt auch weniger rasch wieder ab (Auszug aus dem Internet, Ryffel, 6.3.2000).
1944 ist das Präparat Methylphenidat von Panizzon synthetisiert worden und der berühmte amerikanische Kinderpsychiater Eisenberg setzte die Substanz 1968 erstmals erfolgreich bei Kindern mit Aufmerksamkeitsstörungen ein (Trott 2000, 270). Das Stimulans unter dem Namen Ritalin ist seit 1956 auf dem Markt, wurde aber erst später als Medikation zur Behandlung von ADS eingesetzt (Simonsohn 2001, 82).
Die ersten spektakulären Berichte über die Wirkung der Stimulanzien jedoch erschienen schon in den dreissiger Jahren von Bradley. In einer Studie über Kinder mit Lernstörungen fand er heraus, dass die Hälfte der Kinder mit einer Verbesserung der Leistung und der Leistungsmotivation auf Stimulanzien ansprach. Zwanzig Jahre später wurden Lernstörungen hauptsächlich mit Stimulanzien behandelt. Mittlerweile ist diese Euphorie einer differenzierteren Betrachtungsweise gewichen (Martinius 1984, 84-85).
Die Wirkung von Stimulanzien wurde anhand von Tierversuchen untersucht. Untersuchungen bei Ratten und Mäusen ergaben, dass Stimulanzien in niedrigen Dosen antriebssteigernd wirkten, was sich in Form von gesteigertem Explorations-, Körper- und Brutpflegeverhalten und Umherlaufen äusserte. Sobald die Dosis gesteigert wurde, liessen sich stereotypes Kopfnicken, Nagen, Schnüffeln und Lecken beobachten. Krämpfe, Koma und Exitus folgten auf eine weitere Steigerung der Dosis. Die Reduktion der Trink- und Nahrungsmenge war eine der eindrucksvollsten Stimulanzienwirkung, die sich aber bei anhaltender Therapie abschwächte (Martinius 1984, 85).
Die Stimulanzienwirkung ist sehr komplex. Wie kein anderes Psychopharmakon, welches in der Kinder- und Jugendpsychiatrie verwendet wird, wird seine Wirkung auch bei Kindern untersucht. Diese Wirkung beeinflusst motorische, affektive und kognitive Komponenten des Verhaltens. Bei einem Drittel der Kinder mit einer ADS sind keine oder höchstens negative Reaktionen vorhanden (non Responder). Mit einer Wirkung in Teilbereichen reagiert ein weiteres Drittel der Kinder auf die Medikamente (Intermediärgruppe). Der restliche Teil zeigt eine deutliche Wirkung. Diese positiv Reagierenden sind im Unterricht motorisch ruhiger, aufmerksamer, genauer und überhaupt leistungsfähiger (Martinius 1984, 97-100). Insbesondere kommt es zu einer Abnahme rasch und impulsiv wirkender Bewegungsabläufe. Damit gehen eine Reduktion des Störverhaltens im Unterricht sowie eine Zunahme an Selbstkontrolle und Verhaltenssteuerung einher, so dass im Unterricht das aufgabenbezogene und konzentrierte Arbeiten zunimmt (Steinhausen 1996, 113).
Durch die vermehrte emotionale Ausgeglichenheit und Zugänglichkeit werden sie in der Gruppe kontaktfähiger und leichter akzeptiert. Ein dramatischer Wandel, der sich sowohl in Schule und als auch zu Hause manifestiert.
Diese positiven Befunde wurden jedoch von einer fünfjährigen Studie revidiert. Man kam zum Schluss, dass zwar die Symptome reduziert worden waren, aber nach wie vor erhebliche Schwierigkeiten bestanden. So bewirken die Stimulanzien keine anhaltende und generalisierende Verbesserung der Aufmerksamkeit und der sozialen Anpassung. Ein Erfolg kann nur durch eine Kombination von Medikamenten, erzieherischen Massnahmen und Psychotherapien verzeichnet werden. Den Stimulanzien wird also in der Kinder- und Jugendpsychiatrie nur eine unterstützende und vorübergehende Rolle zugeteilt (Martinius 1984, 97-100).


2.3. Entwicklungstendenzen bezüglich der Verschreibungspraxis von Ritalin in den USA und in der Schweiz

Es ist schon seit längerer Zeit bekannt, dass gerade in den USA Tausende von Kindern mit Psychopharmaka behandelt werden. Doch das Ausmass des Phänomens kam erst vor einem Jahr ans Tageslicht, als das „Journal of the American Medical Association" (Jama) die erste umfassende Studie veröffentlichte. Demnach standen 1995 150’000 Kleinkinder im Alter von zwei bis vier Jahren unter dem Einfluss von psychoaktiven Medikamenten, was eine Steigerung von 50 Prozent gegenüber 1990 ausmacht. Die Zahlen bezüglich des Einsatzes von Psychopharmaka und vor allem von Ritalin haben sich schon in der ersten Hälfte der Neunzigerjahre verdreifacht (Kummer 2000, 2). Allein im Jahr 2000 steigerte Novartis, Hersteller und Vertreiber von Ritalin, nach eigenen Angaben seinen Umsatz gesamthaft um 15 Prozent. Ritalin fungiert dabei in der Rangliste der umsatzstärksten Pharmaprodukte an sechzehnter Stelle (Umsatz 2000: 241 Mio CHF) (vgl. Auszug aus dem Internet, Novartis, 15.2.2001). Seit 1990 ist der Absatz von Ritalin in den USA, wo 85 Prozent des Medikaments verbraucht werden, um 700 Prozent gestiegen.
Weshalb aber suchen amerikanische Ärzte und Eltern immer öfter Zuflucht bei Medikamenten, wenn sie mit ihren Kindern nicht mehr zurechtkommen? Ein Grund liegt sicher auch im US-Gesundheitssystem, das keine obligatorische Krankenversicherung kennt. Die Krankenkassen sind teuer und zahlen oft nicht für psychologische Behandlung oder eine Familientherapie. Hier ist ein Rezept für Ritalin die schnellste und billigste Lösung. Aus Kostengründen werden oft auch Diagnosen möglichst schnell gestellt und zum Teil keine Nachbetreuung verordnet, obschon dies auch aus medizinischer Sicht unerlässlich wäre (Kummer 2000, 2).
Schon 1996 waren Vorwürfe wegen Missbrauch von Ritalin in der Öffentlichkeit unübersehbar. Ciba (jetzt Novartis) reagierte mit einer strategisch klugen Kampagne in Form einer mehrfarbigen Broschüre: Auf dem Titelbild krabbeln drei grosse „R" (für „Read", „Respect" und „Responsibility") in der Hand eines Kindes. Mit dem Slogan „Respect yourself. Respect others. Respect Ritalin" werden Kinder gebeten, Ritalin zu respektieren. Die Elterninitiative CH.A.D.D. (Children and Adults with Attention Deficit Disorder) wird als Kontaktadresse angeführt. Diese 1987 gegründete Initiative wird heute als die grösste und mächtigste Organisation auf diesem Gebiet bezeichnet und gilt als klare Verfechterin von Ritalin als sichere und effektive Lösung im Bezug auf die ADS (Simonsohn 2001, 116-117). Gegner von Ritalin halten dieser Elternorganisation, wie auch der American Psychatric Association (APA) vor, aus ökonomischen und machtstrategischen Gründen konspirativ mit der Pharmaindustrie zusammenzuarbeiten. Simonsohn (2001, 112-113. Hervorh. i. Orig.) berichtet folgendes über die APA:
„In den siebziger Jahren ... kurz vor dem finanziellen Ruin gelang es der APA, Aufmerksamkeitsstörungen mit und ohne Hyperaktivität als zu behandelnde ‘Störung’ im Diagnostical and Statistical Manual of Mental Disorders aufznehmen, der angesehensten Quelle für ‘offizielle’ Diagnosen. Indem ADHD als ‘Störung’ bezeichnet wurde, klang die Diagnose medizinischer, und es wurde einer Behandlung mit Medikamenten Tür und Tor geöffnet. ... Die APA beschloss eine ökonomische und politische Partnerschaft mit den Firmen, die Psychopharmaka herstellten. Mit der milliardenschweren Pharmaindustrie im Hintergrund hoffte die APA, den Einfluss nichtmedizinischer Berufsgruppen wie Sozialarbeitern [sic!] und Psychologen zurückzuschneiden. Innerhalb weniger Jahre wurde die APA zu einer der mächtigsten politischen Interessengruppen Amerikas. ... Ein wachsender Einfluss auf die Medien und Gerichtsentscheidungen sorgte dafür, dass immer mehr Medikamente verschrieben und konsumiert wurden ... Die unheilige Allianz zwischen Berufsverband der Psychiater und der Pharmaindustrie wird nicht etwa von der APA verschleiert, sondern offen zugegeben."
Angesichts des zunehmenden Konsum von Psychopharmaka durch Kinder wurde auch das Weisse Haus aufgeschreckt. Auf Initiative von Hillary Clinton gab die amerikanische Regierung im letzten Jahr eine umfassende Studie über den Ritalinkonsum von Kindern unter sechs Jahren in Auftrag. Ausserdem kündete sie ein Regierungsprogramm an, welches den Gebrauch von Medikamenten wie Ritalin senken soll (Kummer 2000, 2).
Mittlerweile wurden auch die breite Bevölkerung und betroffene Eltern aufmerksamer und in den USA mehren sich die Stimmen, welche einen möglichen Missbrauch durch den unpassenden Einsatz des Medikaments befürchten. Die Medien geben der Kontroverse um die Pille stets neue Nahrung. Schon 1998 berichtete zum Beispiel der Nachrichtensender ABC unter dem Titel „Readin’, Writin’ and Ritalin" über das angeblich gängige Tagesprogramm in amerikanischen Schulklassen (Auszug aus dem Internet, Albrecht, 28.12.2000).
Am 17. Mai 2000 wurde die erste Sammelklage im US-Bundesstaat Texas gegen den Schweizer Pharmakonzern Novartis, gegen die American Psychatric Association (APA), sowie gegen CH.A.D.D. eingereicht. Den Organisationen wurde einerseits mangelhafte Beschreibung der Nebenwirkungen von Ritalin und eine bewusste Förderung der ADS als medizinisches Problem vorgeworfen. Mit anderen Worten: Der Pharmakonzern steht in Verdacht, selber vorsätzlich und fahrlässig die Diagnose ADS zu fördern, um den Absatzmarkt von Ritalin steigern zu können. Die APA und CH.A.D.D. wiederum hätten - in konspirativer Zusammenarbeit mit dem Pharmakonzern Novartis - den Einsatz von Ritalin bewusst propagiert und gleichzeitig dafür Geld von Novartis erhalten (Simonsohn 2001, 132-133).
Novartis berichtet in einem Pressecommuniqué vom 13. März 2001 (vgl. Auszug aus dem Internet, Novartis, 13.3.2001), dass eine weitere Sammelklage durch das Bundesbezirksgericht in San Diego, Kalifornien, gegen den Pharmakonzern zum zweiten Mal mit der Begründung vorläufig abgewiesen wurde, dass die Anklageschrift zu vage und unklar sei. Die Kläger erhalten aber erneut Gelegenheit, die Anklageschrift zu überarbeiten und eine neue Beanstandung zu verfassen. Novartis bezeichnet die Klage bezüglich einer marktstrategischen Zusammenarbeit zwischen dem Pharmakonzern und der APA als lächerliches Hirngespinst und haltlose Verschwörungstheorie und ist fest davon überzeugt, dass auch ein dritter Versuch vor Gericht scheitern wird.
Auch in der Schweiz wird Ritalin immer häufiger eingesetzt. 1998 bestätigte ein Novartis-Sprecher gegenüber den Medien, dass sich der Absatz seit 1993 verdoppelt habe. Hans-Christoph Steinhausen, ärztlicher Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universität Zürich, bezeichnet in einem Interview mit der SonntagsZeitung die Entwicklungen in den USA als „amerikanischen brutalen Pragmatismus", räumt aber gleichzeitig ein, dass er bislang keine Hinweise darauf sehe, dass sich in nächster Zeit in der Schweiz amerikanische Exzesse einstellen würden. Steinhausen führt den gestiegenen Absatz von Ritalin auf eine notwendige Korrektur der Verschreibungspraxis zurück, denn nach letzten Erhebungen seien früher fünf Prozent der Kinder mit einer ADS nicht erkannt worden. Zudem sei die Bereitschaft vieler Ärzte und Eltern, wenigstens zeitweilig eine Pharmatherapie zu akzeptieren, gestiegen (Auszug aus dem Internet, Albrecht, 28.12.2000). Ob in der Schweiz wirklich zuviel respektive an die „falschen" Kinder Ritalin verordnet wird, ist zu diesem Zeitpunkt kaum abzuschätzen. Hierzu fehlen viele notwendige statistische und wissenschaftliche Basisinformationen.
3. Symptomenkomplex der ADS

Das Verhalten von Kindern mit einer ADS ist von Kind zu Kind verschieden, weil ohnehin jeder Mensch in seiner Art einmalig ist und auch, weil verschiedene Hirnstrukturen in unterschiedlichem Ausmass betroffen sind. Sämtliche Symptome können kaum in ein generell gültiges Schema eingeordnet werden. Ausserdem gilt es festzuhalten, dass eine ADS-Diagnose nicht selten eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose ist und von der vielfältigen, normalen Entwicklung ( z.B. „lebhaftes Kind" oder „schwieriger Charakter"), von reaktiven Zuständen (z.B. emotionale Konflikte), Überfoderungssituationen (z.B. schwere Teilleistungsstörungen) oder seltenen Hirnerkrankungen abgegrenzt werden muss (Ryffel 1998, 91).
Kinder mit einer ADS sind nicht etwa „schlecht erzogen", „frech", „faul" oder gar „geistig behinderte" Kinder, als welche sie von der Umwelt durch ihre Verhaltensauffälligkeiten häufig voreilig abgestempelt werden. Sie haben jedoch mit vielen Hindernissen und „Handicaps" zu kämpfen, welche es ihnen erschweren, alltägliche Situationen zu meistern oder gewisse vom Umfeld erwartete Leistungen zu erbringen. Die nachfolgend aufgelisteten und kurz kommentierten Symptome sind nicht bei jedem Kind mit einer ADS gleich stark ausgeprägt, wie auch nicht alle vorhanden sein müssen. Daher sind die Kernsymptome zentral zu berücksichtigen, weil sie am häufigsten zu beobachten sind.


3.1. Kernsymptome

Die Kernsymptome des ADS lassen sich laut mündlichen Aussagen von Ryffel, Kinder- und Jugendarzt mit Praxis in Münchenbuchsee und Spezialist für ADS, mit drei Hauptstörungsbildern umschreiben.

n Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörung
n Störung der Wahrnehmung und Informationsverarbeitung
n Störung der Gedächtnisbildung und Abspeicherung

Alle drei „Störungsbilder" sind eng miteinander verbunden und lassen sich kaum getrennt betrachten.
ADS-Kinder sind sehr leicht ablenkbar, können sich schwer auf nur eine Sache konzentrieren, führen selten etwas zu Ende, haben keine Ausdauer. Sie haben Mühe, sich zu konzentrieren, aufmerksam zu sein und zuzuhören, sie vergessen rasch. Die Kinder ermüden sehr schnell nach geistigen Anstrengungen. Das Problem liegt darin, dass das Gehirn verschiedene Reize nicht richtig koordinieren, verarbeiten und interpretieren kann, da dessen Aufnahmekapazität reduziert ist. Oft können auch zeitlich aufeinanderfolgende Reize nicht mehr erfasst werden, wenn ein gewisses Mass überschritten ist (serielle Merkfähigkeitsschwäche). (Wolfensberger-Haessig 1985, 33)
„Die Aufmerksamkeit an sich ist da, eigentlich eher für viel zu viele äussere Reize (z.B. Assoziation). Die Informationsverarbeitung an sich ist ungestört. Schwierig für die Kinder ist nur, herauszufinden, welcher Reiz wann wichtig ist. Das Kind kann also nur schwer bestimmen, welchen Reiz es in welcher Situation aussuchen und im Blickpunkt der Aufmerksamkeit „festhalten" soll, bis es an der Zeit ist, aus der Notwendigkeit der Situation heraus diesen Reiz wieder „loszulassen" und sich dem nächst wichtigen Reiz zuzuwenden." (Neuhaus 1996, 53, Hervorh. i. Orig.).
Das Überlegen dauert also viel zu lange, das heisst, das Kind hat keine Zeit, um die Reize zu verarbeiten und deshalb macht es oft sogenannte „unüberlegte" Handlungen.


3.2. Fakultative Primärysmptome

Ryffel bezeichnet folgende fakultative (nicht zwingende) Primärsymptome :

n Motorische Hyperaktivität
Diese kann sich in zielloser Hyperaktivität, dauernder Rastlosigkeit und „Zappeligkeit" manifestieren. Es bereitet dem Kind sichtlich Mühe, still und ruhig zu sitzen, und es muss in Folge von Ermüdungserscheinungen seine Körperposition immer wieder fast zwangshaft verändern. Im Falle von Stillhalte-Geboten in Situationen (wie z.B. am Mittagstisch oder in der Schule) kann dies zu enormem Stress und erhöhter innerer Spannung für das Kind führen.
Häufig kann auch ein verstärkter Rededrang auftreten. Das Kind unterbricht oft andere beim Spiel oder es platzt mitten in ein Gespräch hinein. Nägel- oder Bleistiftknabbern sind andere Beispiele für diesen Unruhezustand.
Oft ist die motorische Feinkoordination gestört und dadurch auch die Graphomotorik erschwert (z.B. verkrampfte Haltung des Schreibgerätes, Langsamkeit des Schreibprozesses). Heftige Bewegungsformen wie hemmungsloses Herumrasen mit dem Fahrrad (Ausweichen in die ungestörte Grobmotorik) sind sehr häufig. (Wolfensberger-Haessig 1985,32)

n Impulsivität, Erregbarkeit, Irritierbarkeit
Kinder mit einer ADS können sich bei der kleinsten Anforderung, Umstellung oder Stresssituation schnell aufregen. Sie brausen rasch und heftig auf oder rasten aus. Ihre Frustrationsgrenze ist niedrig, sie sind empfindlich gegenüber Kritik und können unter starken Stimmungsschwankungen leiden. Dies kann leicht in unbeherrschte Wutausbrüche, Tränen oder Aggressionen ausarten.
Durch ihre impulsiven, unberechenbaren Verhaltensmuster sind diese Kinder auch erhöht unfallgefährdet (Stürze, Verkehrsunfälle). (Wolfensberger-Haessig 1985, 33)

n Mangelhafte emotionale Steuerung
Als Folge der Hirnfunktionsstörungen im Bereich der Wahrnehmung, der Motorik und der Psyche kommt es zu einer inneren Unsicherheit. Das Kind merkt, dass ihm alles erheblich mehr Schwierigkeiten bereitet als anderen Kindern. Es kann nicht immer so agieren/reagieren wie es möchte, es versteht nicht, warum seine Handlungen oftmals in seiner Umgebung auf Ablehnung stossen. Die innere Unsicherheit lässt das Kind in einer neuen, unbekannten Situation Angst und Verwirrung empfinden. Die tägliche Erfahrung, den Anforderungen seiner Umwelt nicht gewachsen zu sein, bewirkt eine zunehmende Selbstwertstörung (Ruf-Bächtiger 1985, 102).
Fehlendes oder übersteigertes Einfühlungsvermögen, Verleugnung von Schwierigkeiten, Distanzlosigkeit und ein verlangsamter emotioneller Reifungsprozess sind weitere Indikatoren für eine mangelhafte emotionale Steuerung.

n Dissoziales Verhalten
Durch ihre ungestümen, rücksichtslosen und distanzlosen Verhaltensmuster, durch ihr „unreifes" Verhalten stossen Kinder mit einer ADS bei ihren Mitmenschen auf Ablehnung und Unverständnis. Nicht selten werden sie zu Aussenseitern, haben wenig Freunde, schlagen und raufen sich oft mit anderen Kindern oder spielen den Clown. Dies führt bisweilen bis zu einem extrem destruktiven und sogar kriminellen Verhalten.

Diese Primärsymptome sind, wie schon erwähnt, ganz unterschiedlich ausgeprägt. „Entscheidend ist in jedem Fall die Persistenz, das heisst, das Anhalten der Symptome während Monaten bis Jahren und der Beginn vor dem Alter von sieben Jahren" (Ryffel 1998, 84).


3.3. Sekundäre Symptome

Als Folge oder Reaktion der Primärsymptome kann es zu sekundären Symptomen kommen. Zum Beispiel kann eine schulische Überforderung auftreten, denn Leistungsprobleme sind auch durch Aufmerksamkeits- und Konzentrationsprobleme bedingt. Das Kind kann auch nur in Teilbereichen Leistungsschwächen haben, am häufigsten ist die Lese- und Rechtschreibeleistung beeinträchtigt (Döpfner, Schürmann, Lehmkuhl 1999, 58/f.).
In schwerwiegenden Fällen treten als reaktive Konsequenz sekundäre Verhaltensstörungen auf. Das bedeutet zum Beispiel eine Störung der sozialen und familiären Integration, soziale Isolierung, Drogenmissbrauch, Depressionen oder ein stark vermindertes Selbstwertgefühl. Wie stark sekundäre Beziehungsstörungen und psychoreaktive Krankheiten auftreten, hängt davon ab, in welchem Ausmass die ADS ausgeprägt ist und in welchem sozialen und emotionalen Umfeld das Kind eingebettet ist (Herzka, 1981, 147).


3.4. ADS - Ein Teufelskreis für Betroffene und ihre Umwelt

Kinder mit einer ADS agieren pausenlos in irgendeiner Form und meistens anders als erwünscht oder erwartet. Sie zwingen ihre Umwelt zum „Re-Agieren". Diese Umwelt reagiert oft überfordert, hilflos, enttäuscht und verständnislos (vgl. Bernau 1995, 31/f.).
Durch andauernde Misserfolgserlebnisse des Kindes und seines Umfeldes in der täglichen Interaktion (Familie, Schule, Bezugspersonen) kann es zu einem Teufelskreis kommen, der nur mit gezielten Fördermassnahmen durchbrochen werden kann.
Die Medizinische Uniklinik Lübeck hat zum Thema „Teufelskreis des ADS-Kindes" die eine Zusammenstellung verfasst (zitiert nach Ryffel 1998, 99).

Familie: Kind mit ADS: Umwelt/Schule:
Enttäuschung Aufmerksamkeitsstörung schlechte
ò Mangelnde Impulskontrolle Schulleistungen
Nervliche Belastung ò ò
ò Aussenseiter Sozialisationsstörung
Versagensgefühle Sündenbock ò
ò Störenfried Tadel, Restriktion
Schuldgefühle Versager ò
ò ò Misserfolgs-
Tadel, Restriktion Selbstwertgefühl â erwartungen
ò depressiver Rückzug ò
Misserfolgserwartung Aggressivität drohender
ò Misserfolgsorientierung Schulverweis
Ablehnung ò
sek. Neurotisierung
psychosomat. Störungen
depressive Syndrome
Dissozialität
Kriminalität, Drogen


3.5. Möglich Ursachen für die Zunahme der ADS-Symptomatik

Da es sich bei ADS, wie schon erläutert, um ein biologisches Funktionsproblem im Bereich der Steuerung von Aufmerksamkeit und Wahrnehmung handelt, kann diese Symptomatik in den letzten Jahrzehnten wohl kaum so drastisch zugenommen haben. Dennoch ist gerade in den letzten Jahren zu beobachten, dass die Zahl hyperaktiver Kinder auffällig gestiegen ist. Dies verführt leicht zu der, seitens der Presse oft proklamierten, Annahme, dass es sich bei ADS um eine „Modeerscheinung" handle, die von der Unfähigkeit der Eltern in Bezug auf die Erziehung ihres Kindes ablenke. Dies ist sicher eine zu simple, undifferenzierte Erklärung, vielmehr gilt es bei dieser Frage auch die aktuellen gesellschaftlichen Strukturen und veränderten Rahmenbedingen zu berücksichtigen und anzuschauen, um dem Phänomen gerecht zu werden. Spallek (2001, 13/ff.) hat dazu folgende Erklärungsansätze unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungstandes zusammengefasst:

n Die Autorität der Eltern und Lehrern hat in den letzten Jahrzehnten deutlich nachgelassen. Kinder mit einer ADS brauchen aber klare Strukturen und Rahmenbedingungen. Wenn diesem Anspruch nicht entsprochen wird, werden Verhaltensauffälligkeiten vermehrt wahrgenommen. Die Zunahme verhaltensauffälliger Kinder könnte demnach eine Folge der modernen Unterrichts- und Erziehungsmethoden sein, welche das Kind als eigenständiges, autonomes, mitdenkendes Individuum anerkennen.

n Die momentane Tendenz zu wiederum grösser werdenden Klassenverbänden, in welchen es für Pädagogen immer schwieriger wird, dem einzelnen Schüler gerecht zu werden, lassen Kinder mit einer ADS vermehrt auffällig werden, da sie durch die umgebende Unruhe besonders leicht abgelenkt und irritiert werden.

n Früher konnten Kinder ihre überschüssige Energie zum Teil auf langen Schulwegen zu Fuss oder mit dem Fahrrad abbauen. Die heutige Hektik in Strassenverkehr, Schulbus oder in den öffentlichen Verkehrsmitteln können zu einer Verstärkung der hyperaktiven Verhaltensweisen bei Kindern mit einer ADS führen.

Des weiteren beschreibt Spallek (2001, 13/ff.) auch andere nicht ätiologisch durch das ADS verursachte Hyperaktivitäten, welche bei der Verstärkung der Symptomatik, aber auch differentialdiagnostisch eine Rolle spielen:

n Belastung durch Ernährung. Der Zusammenhang zwischen Ernährung und hyperaktivem Verhalten wurde von verschiedenen Wissenschaftlern untersucht. Möglich ist, dass verschiedene Nahrungsmittel beziehungsweise Zusatzstoffe (z. B. Lebensmittelfarbstoffe, Glutamat, verstärkter Zuckerkonsum) direkt eine Hyperaktivität verursachen können.

n Zunahme von Allergien/Lebensmittelallergien. Allergische Reaktionen im Darm können über nervale Impulse, aber auch über chemische Substanzen auf dem Blutweg den Gehirnstoffwechsel beeinflussen, welche unter anderem zu hyperaktiven Verhaltensaufälligkeiten führen könnten.

n Belastung von teilleistungsschwachen Kindern unter den verstärkten Leistungsanforderungen. Als Kompensation ihres Versagens unter diesen Bedingungen können sie ein hyperaktives Verhalten entwickeln, wodurch sie sich in den Mittelpunkt stellen können und so Beachtung finden.

n Zunahme von emotionaler und sozialer Deprivation. Verwahrloste Kinder können neben oppositionellem und aggressiven Verhalten auch eine hyperaktive Symptomatik entwickeln.

n Schwermetalle und Umweltgifte. Blei-, Quecksilber und Thaliumvergifftungen sollen unter Umständen zu Hyperaktivität führen. Chemikalien, wie zum Beispiel Lösungsmitteldämpfe von Filzschreibern und Klebern könnten ebenfalls hyperaktives Verhalten bewirken.

Diese Thesen sind sicher kritisch zu betrachten, da die Theorien noch zuwenig erforscht sind. Ähnliche Erklärungsansätze sind auch bei Bernau (1995, 75-85) unter dem Titel „Verhaltensstörungen durch eine belastete Umwelt" nachzulesen. Klar scheint, dass nicht unbedingt die Zahl der Kinder mit einer ADS zugenommen hat, sondern vielmehr die veränderten Rahmenbedingungen unserer Gesellschaft betroffene Kinder vermehrt auffällig werden lassen. Gerade die Freiheitsgrade von Kindern in unserer Gesellschaft (bezüglich Freizeit, Kosum usw.) sind sehr hoch, sie bewirken jedoch gleichzeitig auch eine fortschreitende Lockerung von sozialen und kulturellen Bindungen. Nach Meinung von Hurrelmann (1990, 12/ff.) nehmen Kinder während dieser strukturellen Umbruchphase der Gesellschaft nicht nur physiologische Schäden, sondern leiden auch körperlich, seelisch und sozial stärker als Erwachsene in dieser Lebenssituation. Hyperaktivität, Aggressivität oder Konzentrationsstörungen bezeichnet er deshalb als jeweils passende Reaktionen auf eine Lebenswelt, die für Kinder immer mehr zum Problem geworden ist. Diese Reaktionen auf die vermehrten Stress- und Überforderungssituationen bezeichnet Hurrelmann als Notsignale einer für Kinder zum Problem gewordenen Lebenswelt, welche sie zu immer neuen Anpassungsleistungen zwingt. Es kann deshalb angenommen werden, dass die Zahl an verhaltensauffälligen Kinder und Jugendlichen im Allgemeinen in den letzten Jahren gestiegen ist.
Angesichts dieses Hintergrundes erscheint es um so wichtiger, bei der Abklärung eines Kindes im Hinblick auf eine ADS sehr behutsam und vor allem gründlich vorzugehen, um nicht allzu voreilig eine Verhaltensauffälligkeit oder Hyperaktivität als Aufmerksamkeitsdefizit-störung oder psycho-organisches Syndrom zu deklarieren. Da die Diagnose ADS auf Verhalten beruht, das in einem gewissen Mass bei fast allen Kindern zu finden ist, hängt die Entscheidung, ob ein Kind unter ADS leidet, von der Bewertung der graduellen Abweichung ab.


3.6. Differentialdiagnostischer Entscheidungsbaum

Was die ADS-Diagnose schwierig macht, ist die Tatsache, dass ADS häufig auch zusammen mit anderen Störungen auftritt, darunter das Tourette-Syndrom oder das fötale Alkoholsyndrom. Zudem zeigen viele andere Störungsbilder wie zum Beispiel manisch-depressive Zustände, Drogenmissbrauch oder Persönlichkeitsstörungen zum Teil ähnlich Symptome. Die typischen ADS-Symptome sind also jeweils auch ausschnittweise als Anzeichen für andere Erkrankungen denkbar. Deshalb sollte eine klare Abgrenzung zu anderen Krankheitsbildern über eine eingehende ärztliche, neurologische Untersuchung selbstverständlich sein, sofern das betroffene Kind und seine Umwelt sich nachhaltig an einem erfüllten Lebenswandel gehindert sieht (Kettler, Wegener 2000, 15).
Auf der folgenden Seite ist als Beispiel ein von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Jahr 2000 entwickelter differentialdiagnostischer Entscheidungsbaum abgebildet, welchem die wichtigsten differentialdiagnostischen Gesichtspunkte entnommen werden können.

Aufmerksamkeitsstörung Hyperaktiviät und Impulsivität Vorhanden? NEIN è Früher alle Leitsymptome vorhanden? NEIN è Keine Hyperkin. Störung!
JA JA
ê
ê ç Prüfe HKS in partieller Remission

Ausschliesslich durch pharmakologische Wirkung erklärbar? JA è Medikamenteninduzierte Störung!
NEIN
ê
Ausschliesslich durch organische Primärstörung erklärbar JA è diagnostizierte Primärstörung!
NEIN
ê
Beginn vor 6 Jahren und länger als 6 Mte andauernd? NEIN è Abklärung von: Anpassungsstörung, Angststörungen, depressiver Störung!
NEIN
ê
Kriterien f. autistische Störung, Rett-Syndrom oder desintegrative Störung erfüllt? JA è Diagnostizierte tiefgreifende Entwicklungsstörung
NEIN
ê
Intelligenzminderung? JA è Hyperkinet. Symptomatik für Intelligenz abnorm? NEIN è Diagnostizierte Intelligenzminderung
ê JA
NEIN ê
ê ç NEIN IQ < 50+, schwere Überaktivität & Stereotypien JA è Überaktive Stör. mit Intelligenzminderung & Bewegungstereotypien

Kriterien für Psychose erfüllt? JA è Diagnostizierte entsprechende Störung
NEIN
ê
Symptome besser erklärbar Boderline-Störung, Angst-Störung, depressive Episode? JA è Diagnostizierte entsprechende Störung

ê
Kriterien für Störung des Sozialverhaltens erfüllt? JA è Hyperkinentische Störung des Sozialverhaltens
NEIN
ê
einfache Aktivitäts- undAufmerksamkeitsstörung

(aus Döpfner, Frölich, Lehmkuhl 2000, 54-55)
3.7. Erfreuliche Eigenschaften eines Kindes mit einer ADS

Kinder mit einer ADS haben nicht nur belastende Eigenschaften, sondern auch erfreuliche, die auch immer wieder gefördert und gestärkt werden sollten. Betroffene Kinder sind oft sehr sensibel. „Es ist, als ob ihre Seele ungeschützt den Stimmungen der Mitmenschen ausgesetzt wäre, als ob ihnen ein Filter fehlte, der sie vor überstarken affektiven Eindrücken schützen könnte, gleich wie auch ihre Gefühle ungebremst und ungefiltert an die Aussenwelt gelangen. Dieses Resonanzvermögen hindert sie allerdings nicht daran, ihren nächsten zu verletzten, wenn sie selber verletzt sind" (Ruf-Bächtiger 1995, 74). Diese Feinfühligkeit manifestiert sich bei diesen Kindern auch in einer spontanen und ausgeprägten Hilfsbereitschaft und Fürsorglichkeit. Sie haben oftmals auch auch einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Verblüffend ist ihre Spontaneität, Kreativität und ihr Erfindungsgeist. Ein Kind mit einer ADS ist selten nachtragend, ausser es wird tief und nachhaltig verletzt (vgl. Neuhaus 1996, 40/f.).
Die relativen Stärken und individuellen Interessen sollten gerade bei Kindern mit einer ADS früh angesprochen und gemeinsam mit den Eltern und Lehrern angeschaut werden. Dadurch kann verhindert werden, dass direkte Bezugspersonen ausschliesslich klagend über die Probleme des Kindes erzählen. „Je weniger Eltern über positive Eigenschaften ihres Kindes/jugendlichen berichten können, um so stärker ist in der Regel die Eltern-Kind-Beziehung beeinträchtigt."
(Döpfner, Frölich, Lehmkuhl 2000, 56).
4. Ritalintherapie für das Kind mit einer ADS

4.1. Warum Ritalin?

Seit Jahrzehnten wird von seiten der Wissenschaft auf die gute Wirkung von Stimulanzien insbesondere Ritalin bei der Behandlung von Kindern, die eine ADS aufweisen, hingewiesen. Nach heutiger Erkenntnis normalisieren diese Arztneimittel die Funktion der Neurotransmitter in den Synapsen von Hirnzellen, die bei der ADS zu wenig lang und in kürzerem Ausmass wirken. Es wird allgemein angenommen, dass diese Unterfunktion vor allem in denjenigen Hirnabschnitten zu beobachten ist, welche die Funktionen von Aufmerksamkeit und Selbststeuerung - also übergeordneten Regulationsmechanismen - steuern. Durch Ritalin kann die bestehende Unteraktivität auf ein normales Niveau aktiviert werden. Gute Erfahrungen auch kritischer Selbstbetroffner haben am Kinderpsychiatrischen Symposium in Bern 1998 zu der Annahme geführt, dass es „heute als ärztlicher Kunstfehler gelten muss, wenn einem betroffenen ADS-Patienten mit Leidensdruck diese Medikation (zumindest als Versuch) vorenthalten wird" (Auszug aus dem Internet, Ryffel, 6.3.2000).
Es sollte aber auch gerade im Zusammenhang mit einer Ritalin-Therapie bei einem Kind mit einer ADS nie darum gehen, aus einem verhaltensauffälligen Kind nun ein Braves zu machen, einen leistungsschwachen Schüler auf Leistung zu trimmen. Aus kritischer Sicht gab der Kinder- und Jugendpsychiater Reinhard Lempp (zitiert nach Voss, Wirtz 1990, 48) schon 1983 bezüglich der Gefahren der Psychopharmakatherapie folgendes zu bedenken: „Psychopharmaka jeder Art sind differenzierte Medikamente, deren Anwendung bei Kindern und Jugendlichen kritisch überlegt werden sollte wie eine Operation. Die Verordnung von Psychopharmaka ... ohne begleitende Psychotherapie oder Beratung unter Einbeziehung der Eltern ist ein Kunstfehler."
Ryffel (Auzug aus dem Internet, 6.3.2000) aber argumentiert aus der Sicht des praktizierenden Kinderarztes: „... es geht darum, einem Kind mit dem Handicap einer ADS die Möglickkeit zu geben, sein Potential, seine Fähigkeiten zu entwickeln und mit einer verbesserten Wahrnehmungsfunktion, d.h. ‘gleich langen Spiessen’ sich möglichst wie andere Kinder zu fühlen. Das chronische Ausbleiben von Erfolg soll vermieden werden, das Kind soll eine normale Beziehungsfähigkeit aufbauen, sich so möglichst optimal für das spätere Leben vorbereiten und ein gutes Selbstwertgefühl erwerben können."
Die meisten Kinder mit einer diagnostizierten ADS müssen, nach dauerndem Kampf mit Misserfolgen (vgl. Kapitel 3.4.), erst einmal wieder lernen, auf kleine Erfolgserlebnisse stolz zu sein. Ryffel (1998, 92-96) glaubt, dass mit der häufig recht erfolgreichen Behandlung mit Stimulanzien im Sinne einer „chemischen Brille" viel Leid und Kummer betroffener Familien vermieden werden könne und bezeichnet diese Medikation als wichtigen Baustein in einem gesamtheitlichen, multimodalen Behandlungskonzept, das die Zusammenarbeit von Eltern, Heilpädagogen, Lehrern, Psychologen und eben auch den Medizinern in einem gemeinsamen Team einschliessen sollte. Auf diesem Wege könnten dann bei vielen Kindern mit ADS im Sinne von Pestalozzi (d.h. „Kopf, Herz, Hand") möglichst umfassend die geistigen, sittlichen und körperlichen Fähigkeiten gefördert und weiterentwickelt werden.


4.2. Was sollte vor einem Einsatz von Ritalin beachtet werden?

Immer noch herrscht bei Fachleuten und Eltern eine grosse Unsicherheit im Umgang mit Ritalin, obwohl es mittlerweile eine Vielzahl an systematischen Untersuchungen zur medikamentösen Behandlung hyperaktiver Kinder gibt. Ulrike Lehmkuhl, Direktorin der Klinik für Psychiatrie Berlin, weist darauf hin, dass die Indikation für eine medikamentöse Behandlung streng auf das hyperkinetische Syndrom beschränkt sein sollte. „Aggressive Verhaltensweisen, die den Störungen des Sozialverhaltens zuzuordnen sind, stellen ebensowenig eine Indikation für den Einsatz von Methylphenidat (Ritalin) dar wie emotionale Störungen aufgrund von Überforderungen in der Familie oder der Schule, bei denen fast regelhaft ‘Konzentrationsprobleme’ der Kinder auftreten" (Auszug aus dem Internet, Lehmkuhl, 28.12.2000).
Sogar der Hersteller von Ritalin warnt auf dem Beipackzettel vor einer „falschen" Anwendung (siehe Anhang):
„Die Diagnose muss auf einer vollständigen Anamnese und Beurteilung des Kindes basieren und darf sich nicht allein auf das Vorhandensein von einem oder mehreren der oben genannten Merkmale stützen (vgl. Kapitel 2).
Eine medikamentöse Behandlung ist nicht bei allen Kindern mit diesem Syndrom angezeigt. Stimulanzien sind nicht angezeigt zur Behandlung von Kindern, deren Symptome auf das Umfeld (v.a. Kindesmisshandlung) und/oder primäre psychische Störungen (inkl. Psychosen) zurückzuführen sind.
Geeignete erzieherische Unterbringung ist unerlässlich und in der Regel sind psychosoziale Massnahmen erforderlich. Erweisen sich solche Massnahmen als ungenügend, muss die Entscheidung, ein Stimulans zu verschreiben, auf einer strengen Untersuchung der Schwere der Symptome des Kindes basieren. ...
Ritalin/- SR ist nicht in allen Fällen von hyperkinetischen Verhaltensstörungen indiziert und sollte nur nach detaillierter Anamnesestellung und Untersuchung in Betracht gezogen werden. Die Entscheidung, Ritalin/- SR zu verschreiben, sollte von der Beurteilung des Schweregrades der Symptome in Relation zum Alter des Kindes abhängig gemacht werden. Die Verschreibung sollte nicht allein aufgrund des Vorhandenseins einzelner oder mehrerer auffälliger Verhaltensmerkmale erfolgen. Stehen die Symptome mit akuten Stressreaktionen in Verbindung, ist Ritalin/- SR im Allgemeinen nicht indiziert."

Lehmkuhl (Auszug aus dem Internet, 28.12.2000) nennt folgende Richtlinien als Empfehlung für die Praxis:

n Angesichts der Komplexität des Störungsbildes der ADS sollte Diagnose und Behandlung grundsätzlich von Kinder- und Jugendpsychiatern erfolgen.

n Die Sicherung der Diagnose ADS sollte ausschliesslich auf internationalen Klassifikationssystemen basieren. Nach den ICD-10 Forschungskriterien müssen beispielsweise die drei Symptome Aufmerksamkeitsdefizit, mangelnde Impulskontrolle und motorische Unruhe in mindestens zwei der drei Settings (Schule, Familie, ärtzliche Untersuchung) in deutlicher Ausprägung über einen zeitlichen Raum von mindestens einem halben Jahr vorhanden sein und vor dem Schuleintrittsalter angefangen haben.

n Als notwendig vor Beginn einer Behandlung mit Methylphenidat gelten eine ausführliche kinderpsychiatrische und körperliche Untersuchung, die Ableitung eines EEGs und die Untersuchung von Blutparametern (Differentialblutbild, Elektrolyte, Leberwerte, Schilddrüsenparameter)

n Die Dosierung sollte einschleichend erfolgen und 1 mg/kg-Körpergewicht nicht überschreiten (Hochdosierungen sind abzulehnen!).

n Die Einstellung bezüglich einer richtigen Dosierung sollte stets sorgfältig geprüft und Wirkung/Nebenwirkungen ständig beobachtet werden. Die Behandlung sollte also engmaschig kinderpsychiatrisch betreut werden. In regelmässiger Kontrolle sollten erwünschte Effekte und mögliche Nebenwirkungen genau erfragt und untersucht werden. Ausserdem sollte Wachstum und Gewichtszunahme des Kindes kontrolliert werden.

n Die Behandlungsdauer kann sich über mehrere Jahre erstrecken. Kurze Medikationspausen (zum Beispiel an Wochenenden) gelten in Fachkreisen als wenig sinnvoll, da mögliche Rebound-Effekte (vgl. Kapitel 4.4.) auftreten könnten. Ein längerer „Pillenstopp" während eines Urlaubs wird aber zum Teil als durchaus sinnvoll erachtet und oft auch in das Behandlungsprogramm einbezogen.

n Von zentraler Wichtigkeit ist sicher die zuverlässige Mitarbeit aller Bezugspersonen, aber auch die des betroffenen Kindes. Kann dies nicht gewährleistet werden, wird von einem Gebrauch von Ritalin dringend abgeraten. Gerade ein Kind, welches einen Behandlungsversuch mit Ritalin ablehnt, sollte immer ernst genommen werden!

Eine psychopharmakologische Therapie mit Ritalin sollte in jedem Fall nicht die eigentliche und einzige Form der Behandlung sein, sondern von individuell geeigneten psychosozialen Interventionen begleitet sein.
Ryffel (1998, 98) hat zusammenfassend folgende weiteren Punkte als multimodales Behandlungskonzept formuliert:

n In jedem Fall Aufklärung und Information über das ADS in Familie und Schule

n Beratung des Patienten sowie der Familie: Festlegen von Strukturen, festen Grenzen, eigentliches „coaching" des Tagesablaufes

n Andere Therapien:
n Funktionelle Therapien z.B. Psychomotorik
n Verhaltenstherapien
· Vermittlung von Lernstrategien
· Selbstinstruktionsprogramme, „Aufmerksamkeitstraining"
· Familiäres und soziales Interaktionstraining
· Aufbau des Selbstwertgefühls
· Gruppentherapie, Besuch von ADS-Gruppen
n Psychotherapie bei schweren reaktiven Störungen oder neurotischen Entwicklungen

n Sonderpädagogische Massnahmen, gezielte Berufsberatung


4.3. Was kann Ritalin bei einer ADS bewirken?

Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass durch Ritalin Verbesserungen in Bezug auf die physischen, psychischen und sozialen Symptome im Zusammenhang mit ADS nicht in jedem Fall und meist auch unterschiedlich ausgeprägt erfolgen. Je älter das Kind ist, desto schwieriger wird es, eingefahrene Verhaltensmuster und reaktive Störungen zu verbessern. Die Wirkung der Stimulanzien ist unterschiedlich, eine richtige Dosierung ist individuell sehr verschieden und kann kaum vorausgesagt werden.
Ryffel (Auszug aus dem Internet, 6.3.200) beschreibt Therapieerfolge mit Ritalin folgendermassen:
„Sobald die richtige Dosierung erreicht ist, fühlt sich das Kind meist selbst subjektiv ruhiger und konzentrierter, objektiv ist die Bewegungsunruhe vermindert, ... Aufmerksamkeit und Konzentration sind verbessert, die erhöhte Ablenkbarkeit ist weniger ausgeprägt, Handschrift und Zeichnungen können schlagartig gesteuerter aussehen, sowohl Turn- wie auch Musiklehrer bemerken eine bessere Koordination und die sozialen Kompetenzen sind rasch angemessener." Die „chemische Brille" (Ritalin) soll also laut Ryffel nicht nur kognitiven, sondern auch die sozialen Fähigkeiten des „Brillenträgers" (Betroffener) verbessern.
Eine Zusammenfassung (1997) mehrerer Studien der amerikanischen Kinderpsychiatriegesellschaft will aufzeigen, welche - als positiv bewerteten - Auswirkungen eine medikamentösen Behandlung haben kann (Auszug aus dem Internet, Ryffel, 6.3.200):

Motorische Hyperaktivität
n „Normalisiert" sich
n Übermässiges Reden, Lärmen und Stören anderer verschwindet
n Handschrift verbessert sich
n Feinmotorik wird besser

Soziale Effekte
n Bleibt bei der Arbeit (Hausaufgaben)
n Besseres Spielverhalten, kann sich beschäftigen
n Weniger Streitereien, weniger Frustrationen
n Verhalten ruhiger, der Situation angepasster
n Im Turnen und Spiel integrierter
n Wird von andern Kindern besser akzeptiert
n Weniger aggressives Verhalten, weniger Trotzen
n Verbesserung Eltern-Kind Beziehung, familiäres Klima entspannt sich
n Eltern und Lehrer verändern ihre Einstellung, sie sehen das Kind positiver

Kognitive Verbesserung
n Aufmerksamkeit wird besser, vor allem bei relativ monotonen Aufgaben
n Weniger ablenkbar
n Kurzzeitgedächtnis verbessert sich
n Impulsives Handeln verschwindet, überlegt vorher
n Kann Gedanken (abgespeicherte Infos) besser abrufen
n Arbeitspensum wird grösser
n Arbeitet genauer


4.4. Mögliche unerwünschte Nebenwirkungen

Stimulanzien sind nebenwirksame Medikamente, so auch Ritalin. Befürworter einer Ritalintherapie bei ADS wie zum Beispiel Ryffel (vgl. Auszug aus dem Internet, 6.3.2000), Neuhaus (vgl. 1996, 197-199) oder Spallek (vgl. 2001, 58-61) bezeichnen aber diese Nebenwirkungen bei Befolgung klarer Richtlinien zur Höchstdosierung als gering. Kritiker jedoch warnen und sprechen von einer Vielzahl möglicher folgenschwerer Nebenwirkungen.

n Häufigste Nebenwirkungen
Appetit- und Schlaflosigkeit, Rebound-Effekte, Bauch- und Magenschmerzen und leichte Tics werden von Kritikern und Verfechtern gleichsam als häufigste unerwünschten Wirkungen beschrieben und erläutert.
Auch im Medikamenten-Beipackzettel steht unter vielen anderen Angaben zu möglichen Nebenwirkungen (siehe Anhang):
„Nervosität und Schlaflosigkeit sind sehr häufige unerwünschten Wirkungen. Sie treten zu Beginn der Behandlung auf, können jedoch in der Regel durch Reduktion der Dosis und/oder durch Auslassen der Nachmittags- oder Abenddosis kontrolliert werden. Rückgang des Appetites ist ebenfalls häufig."
Als Folge einer falschen Dosierung, beim Nachlassen der Wirkung (zwischen zwei bis zehn Stunden) oder bei einer „Pillen-Pause" kann es ausserdem zu einem sogenannten Rebound-Effekt mit anderen Worten zu einer paradoxen Wirkung, einer Verstärkung der ADS-Symptomatik kommen. Das Kind verhält sich viel aggressiver oder unruhiger als sonst. Bei zu hoher Dosierung kann ein Kind aber auch als „zu brav", gedämpft oder gar depressiv wirken (Ryffel 1998, 95-96).

n Langzeitwirkung?
20 Prozent aller Kinder, welche mit Ritalin behandelt werden, nehmen das Medikament länger als sechs Jahre. Es ist aber nach wie vor ungeklärt, wie und ob das Medikament auf die Organe und das Immunsystem des Kindes wirkt. Verlässliche Langzeitstudien über die Wirkung einer längerfristigen Einnahme von Ritalin gibt es nicht (Simonsohn 2001, 90).
Dazu informiert der Hersteller von Ritalin (siehe Anhang):
„Im Zusammenhang mit der Langzeitanwendung von Stimulanzien bei Kindern wurde über mässig reduzierte Gewichtszunahme und leichte Verzögerung des Wachstums berichtet. Ein Kausalzusammenhang konnte jedoch nicht bestätigt werden. ... Die Langzeit-Sicherheits- und -Wirksamkeitsprofile von Ritalin/- SR sind noch nicht gänzlich bekannt. Deshalb sollten Patienten unter Langzeitbehandlung sorgfältig überwacht werden."

n Emotionale Nebenwirkungen?
Simonsohn (2001, 94-95) spricht im Zusammenhang der Nebenwirkungen auf emotinaler-mentaler Ebene unter anderem von sozialem Rückzug, Unruhe, Psychosen, Introvertiertheit, zwanghaftem Sprechen, Angriffslust, Trägheit, Depressionen, Mangel an positiven Affekten oder Gemütsflachheit. Trott, Wirth (1995, 212-213) beschreiben das Phänomen möglicher emotionaler Verstimmung folgendermassen: „Veränderungen der Stimmungslage machen den Eltern oft die meisten Sorgen. Häufiger wird das hohe Aktivitätsniveau mit Fröhlichkeit gleichgesetzt, weshalb bei Verminderung der motorischen Aktivität im Umkehrschluss das Befinden von den Eltern als ungünstiger beurteilt wird. ... Diese subdepressiven Verstimmungen können pharmakologisch bedingt sein, sie können aber auch Folge der verbesserten Aufmerksamkeit und Konzentration sein." Dies bedeutet, dass Kinder unter Medikation besser in der Lage sind, ihre eigene Situation in Familie und Schule zu erkennen und somit auch stärker unter negativen Erfahrungen leiden.
Ritalin-Kritiker Breggin (zitiert nach Simonsohn 2001, 97) stellt grundsätzlich die Frage, ob die Unterdrückung von Gefühlen und Spontaneität eine (für ihn erwiesene) Nebenwirkung oder gar den Haupteffekt von Ritalin darstelle: „Hat Ritalin nur seinen ’therapeutischen‘ Effekt, indem es verschiedene Grade von roboterhafter Konformität erzeugt?"

n Suchtgefahr?
In dieser Frage sind sich die Wissenschaftler und Experten nicht einig. Gefahren einer psychischen und physischen Suchtgefärdung durch Psychostimulanzien sind hinreichend bekannt. Als Problem wird im Zusammenhang mit Ritalin immer wieder die Möglichkeit diskutiert, dass Stimulanzien zur Drogenabhängigkeit führen könnten. Da Ritalin chemisch den Amphetaminen nahe steht, welche zweifelsfrei zu den suchterzeugenden Substanzen bei Erwachsenen gehört, ist diese Sorge sicher nicht unbegründet. Umfangreiche Studien in Amerika und Europa haben zum Teil aufgezeigt, dass ADS-Kinder, welche mit Ritalin behandelt wurden, während der Adoleszenz und im frühen Erwachsenenalter nicht häufiger drogenabhängig werden als der Durchschnitt der Bevölkerung (Czerwenka, Bolvansky, Kinze 1997, 191-192). Ryffel (Auszug aus dem Internet, 6.3.2000) behauptet sogar folgendes: „Es gibt zunehmend Erfahrungen, die zeigen, dass nicht behandelte ADS-Jugendliche rascher Gefahr laufen, ein Suchtproblem zu bekommen, sei dies nun im Rahmen einer falschen Selbstmedikation oder reaktiv bei stark erniedrigtem Selbstwertgefühl. Wenn Stimulantien hingegen als Dopingmittel oder Muntermacher in Stresssituationen eingenommen werden ... , ist die Suchtgefahr ausgeprägt."


4.5. Kritische Stimmen zur medikamentösen Behandlung der ADS

Einer der frühesten und wohl auch vehementesten Gegner einer Somatisierung und medikamentösen Behandlung von Kindern mit ADS ist Peter Breggin. Er kritisiert in seinem Buch „Talking Back to Ritalin" die Tatsache, dass nie mit Sicherheit nachgewiesen werden konnte, dass es sich bei ADS um eine Krankheit im Gehirn handle und greift die Haltung vieler Eltern an, die keine andere Hilfe für ihre Kinder suchen, weil sie durch die medikamentöse Behandlung die schnelle Lösung aller Probleme erhoffen. Zusammengefasst lautet seine These, dass ADS keine neurologische Ursache habe und Stimulanzien Kindern nicht helfen würden, besser zu lernen. (Breggin 1998 zitiert nach Simonsohn 2001, 30)
Breggin (1998 zitiert nach Simonsohn 2001, 78-81), der auch als medizinischer Gutachter in der Sammelklage gegen Novartis aktiv ist, bezeichnet die grosszügige Verschreibungspraxis in den USA als „nationale Tragödie" und prangert dabei das gesamte Schul- und Gesellschaftssystem an:
„Wir zwingen Kinder, Drogen zu nehmen, die sie nicht wollen, um sie zu zwingen, in Schulen zu gehen, die sie nicht mögen."
Als gravierendsten Nachteil von Ritalin bezeichnet er aber eine durch das Medikament verursachte Wachtumsbehinderung - vor allem in Bezug auf das Gehirn. Er zitiert unter anderem Studien, wonach bei Ratten nach Verabreichung von Ritalin eine dauerhafte, irreversible Atrophie des Gehirns festzustellen war. Grundsätzlich plädiert Breggin aber dafür, mit Kindern zu reden, anstatt sie mit Pillen ruhig zu stellen: „Jedes Mal, wenn wir ein Kind unter Drogen setzen, entscheiden wir uns für unsere Bequemlichkeit und unseren Seelenfrieden auf Kosten der wirklichen Bedürfnisse des Kindes. Es ist unethisch, ein Kind für unsere eigene Bequemlichkeit unter Drogen zu setzen. Es ist falsch, die Gehirnfunktion eines Kindes zu verzerren, um das Verhalten des Kindes zu verbessern."
Viele Kritiker bezweifeln die Existenz von ADS als Krankheit und sind deshalb auch gegenüber einem Einsatz von Stimulanzien entsprechend negativ eingestellt. Fred Baughman, Facharzt für Pädiatrie und Neurologie, zum Beispiel ist auf Grund seiner persönlichen Studien der Ansicht, dass die ansteigende Zahl an ADS-Diagnosen nicht übertrieben sei, vielmehr handle es sich bei ADS um einen „totalen, 100-prozentigen Schwindel" und die weltweit Millionen von Schulkindern mit Ritalintherapie, seien demzufolge absolut gesund (vgl. Simonsohn 2001, 28).
Simonsohn (2001, 11-12) selber kritisiert in ihrem kürzlich erscheinen Buch mit dem Titel „Hyperaktivität - Warum Ritalin keine Lösung ist" unter anderem den Anpassungsanspruch der modernen Gesellschaft an Kinder mit einer ADS und die Beeinflussung der Persönlichkeitsentwicklung dieser Kinder durch die Verabreichung von Ritalin: „Was wir als Lern- oder Verhaltensproblem ansehen, kann, von anderer Seite betrachtet, einen besonders kreativen Ausdruck von Intelligenz darstellen. Wir sehen Kinder durch die Brille ‘krank’, ‘defizitär’ oder ‘gestört’. Wer sich an die eigene Kindheit ... erinnert, wird feststellen, dass auch wir viele Talente nicht ausleben konnten, weil die häusliche oder schulische Umgebung kein geeignetes Klima dafür schuf, sondern Kinder einschüchterte, unterdrückte und damit blockierte. ... Wenn Ritalin ... eine so beeinträchtigende Wirkung auf die geistige und körperliche Gesundheit unserer Kinder hat, ... hat dies auch eine negative Wirkung auf die Gesellschaft ... Wie ist es um eine Gesellschaft bestellt, die die sensiblen Gehirne von Kindern in Chemie badet, sich aber keine Gedanken darüber zu machen scheint, was die wirklichen Ursachen der dramatischen Zunahme von Verhaltens- und Aufmerksamkeitsstörungen bei Kindern sind?"
Kritische Gedanken werden auch in der von ELPOS herausgegebenen Informationsmappe zum Thema „Warum Ritalin?" angesprochen (ELPOS, 8). Eine Mutter eines Jungen mit einer ADS schreibt: „Bei der medikamentösen Therapie geht es oft um das Leiden und die Ruhe der Eltern als um die Kinder selber." Auch einige Ärzte äussern sich hier kritisch. Bachmann zum Beispiel meint, die Pille als Beruhigungsmittel sei längerfristig nicht der richtige Weg, um den Menschen als Individuen wie als Gemeinschaft zu einem erfüllten Leben zu verhelfen. Gleichzeitig plädiert er für vermehrte heilpädagogische und psychotherapeutische Hilfe ohne medikamentöse Therapie. Er begründet dies darin, dass die zwischenmenschlichen Prozesse durch Stimulanzien nur gestört würden.
Weitere Überlegungen, mit denen sich Fachleute und Betroffene gleichsam kritisch auseinandersetzen sollten, werden in dieser ELPOS-Mappe formuliert (ELPOS, 7):

n Die tägliche Einnahme eines Medikamentes schafft das Bewusstsein, von diesem abhängig - nicht im Sinne von Sucht, sondern als unentbehrliche Hilfe - zu sein. Es besteht die Gefahr, dass sich sowohl Eltern wie auch das Kind nicht mehr zutrauen, ohne Medikamente den täglichen Anforderungen der Umwelt gerecht zu werden.

n Es kann eine Belastung sein, einem Kind täglich Medikamente zu geben, von welchen man weiss, dass sie gesunde Menschen süchtig machen kann.

n Die Gesellschaft sollte eigentlich dem Anspruch entsprechen, mit Menschen, welche aus der gängigen Norm fallen, zu leben und diese zu akzeptieren. Ist es nicht fragwürdig, alles was nicht unseren Vorstellungen entspricht, geradezubiegen oder verändern zu wollen?

n Die wachsende Bereitschaft der Bevölkerung, Schwierigkeiten aller Art mit Medikamenten zu bewältigen, wird durch die Abgabe von Medikamenten an verhaltensauffällige Kinder legitimiert.

n Die Motivation und Herausforderung, aber auch die Befriedigung, durch eigene Kräfte eine Verbesserung zu erreichen, wird reduziert. Es besteht die Gefahr, alles der Wirkung der „Pille" zu überlassen, Verantwortung und Kompetenzen somit abzuschieben.

n Eine Therapie mit Ritalin wird problematisch, wenn in der Umgebung des Kindes labile, suchtgefährdete Personen leben, welche das Medikament missbrauchen könnten.
5. Erfahrungsberichte Betroffener

Viele Eltern und Betreuer von Kindern mit einer ADS stehen vor ähnlichen Problemen, sind oft allein gelassen mit ihren Sorgen und hoffen auf Verständnis der Umwelt, fühlen sich überfordert und resignieren. Manche Eltern scheuen eine gründliche Abklärung bezüglich der ADS ihres Kindes, aus Angst und Hemmungen wegen Prestigeverlustes gegenüber der Umwelt. Nach der Diagnose ADS sind die meisten Eltern aber sind schliesslich froh und erleichtert, einen möglichen Grund zu kennen, warum ihr Kind „schwierig" ist und fühlen sich von der vermeintlichen Schuld entbunden, schlechte Erzieher zu sein. Durch ihre auffälligen, ständig überdrehten und unkonzentrierten Kinder geraten Mütter und Väter sozial ins Abseits. Sie brauchen aber keine Schuldzuweisungen, sondern Hilfe. Eltern, die es fertig bringen, nicht zu resignieren, sondern nach Lösungen zu suchen, werden dann von Fachleuten meist rasch mit dem Thema „Ritalin" konfrontiert. Viele Eltern reagieren verständlicherweise zunächst misstrauisch und skeptisch, nehmen erst, wenn der Druck von Schule, Verwandtschaft und Umfeld grösser wird, die Hilfe der Medizin an.
Der folgende Teil soll betroffene Personen selber zu Wort kommen lassen, denn ich denke, dass es besonders wichtig ist, Eltern und Betroffene als „Experten der Praxis" als gewichtige Informationsquelle für die Thematik dieser Arbeit einzubeziehen. Während des letzten halben Jahres habe ich aus diesem Grund verschiedene Betroffene und Eltern von Kindern mit einer ADS entweder bei persönlichen Gesprächen oder via Internet über ihre individuellen Erfahrungen mit und ohne Ritalin befragt. Mit grosser Offenheit erzählten mir Mütter und Betroffene ihre persönlichen Geschichten: Über ihren Alltag, über ihre Erfahrungen mit Ritalin oder ihre Einstellung zu dem Medikament. Sie haben sich spontan bereit erklärt, mir ihr Wissen über ADS und Ritalin mitzuteilen, nicht zuletzt auch aus einem persönlichen Engagement heraus, um damit anderen Betroffenen Mut machen zu können.
Diese Berichte sollen in keiner Weise als eine repräsentative, quantitative Bestandsaufnahme, sondern vielmehr als qualitative Aussagen Einzelner verstanden werden. Die Erfahrungsberichte sollen aber den Leser zusätzlich darin unterstützen, sich sein eigenes Urteil über Sinn und Unsinn dieses Behandlungsansatztes bilden zu können.
Ich habe mich darauf beschränkt, hier eine Auswahl von vier Berichten zu präsentieren, um den Rahmen dieser Diplomarbeit nicht zu sprengen.
Alle Namen sind aus Gründen der Diskretion unter Absprache mit den betroffenen Parteien geändert worden.

5.1. Elisabeth, Mutter von vier Kindern mit einer ADS

Dem Erfahrungsbericht von Elisabeth, Mutter von vier Knaben (wahrscheinlich alle mit einer ADS) habe ich in meiner Arbeit den grössten Platz eingeräumt, gerade weil ihre Geschichte sehr betroffen, aber sicher auch Mut macht.


5.1.1. „Meine Geschichte"

„Ich war als Kind der Aussenseiter. Überdurchschnittlich intelligent, wurde ich in die nächst höhere Klasse versetzt. Von meinen Klassenkameraden verhasst, stand ich immer abseits. Auf dem Heimweg wurde ich täglich verprügelt. Von Zuhause der Kommentar: ‘Du musst halt dein Maul halten, nicht so vorlaut sein.’ Mit zehn Jahren wurde ich schwer krank. War sechs Monate im Spital. Stieg ohne Probleme nahtlos wieder in der nächst höheren Klasse ein. Mit vierzehn hatte ich einen Unfall. Ein schwerer Mülltonnendeckel zertrümmerte mein Handgelenk.
Mit einundzwanzig Jahren lernte ich meinen Mann kennen. Von meiner Familie nicht akzeptiert, heiratete ich ihn trotzdem ein Jahr später. Heute bin ich seit dreizehn Jahren glücklich verheiratet. Er ist das Beste, was mir in meinem Leben begegnet ist. Der erste Mensch der mich so nimmt, wie ich bin. Nicht immer leicht bei einem so ‘hybbelige’ Menschen, wie ich es bin. Die Geschichte meiner Buben dauert etwas länger.
Alles begann vor zwölf Jahren mit der Kaiserschnitt-Geburt unseres Ältesten - Eric. Er hatte schon als Baby ein sehr unruhiges Wesen, quengelte ständig, weinte oft, schrie manchmal pausenlos bis zur Erschöpfung, trank schlecht, übergab sich ständig, war durch nichts und niemanden zu beruhigen. Meine Nerven lagen blank, doch wenn ich mich einmal beklagte, so hiess es gleich, das sei ja nicht verwunderlich, bei meiner Nervosität könne das Kind ja nicht zur Ruhe kommen, ich müsse halt eben gelassener werden! Wie denn? Bei einem Kind das nur gerade mal ein halbe Stunde aneinander schlief, nachts bis zu zehn Mal schrie und überhaupt dauernd unter Strom zu stehen schien. Auch als Kleinkind war Eric rastlos, nervös, dauernd geschah ein Missgeschick, er fiel oft, ass schlecht, stellte pausenlos Unsinn an, steckte den Wohnzimmerteppich an, zerschnitt mit der Schere halbfertige Stricksachen, bohrte mit dem Messer Löcher in die Wände - ich könnte die Liste endlos weiterführen.
Als Eric zwei Jahre alt war kam Rolf ebenfalls per Kasierschnitt zur Welt. Rolf schien zunächst ein pflegeleichtes Kind, mal abgesehen davon, dass auch er nachts bis zu zehn Mal schrie, war er doch weniger nervös, hatte weniger ‘Strom’ als Eric, doch auch er war ein eher mühsames Kind. Mit sechs Wochen konnte ich ihn nicht mehr stillen. Dauernd liess er sich ablenken, drehte den Kopf nach Geräuschen um, grinste anstatt zu trinken. Ich musste ihm die Flasche in ein Tuch wickeln und ins Bett legen, so dass er selbständig trinken konnte. Wehe aber, wenn jemand über die Bettkante blickte, dann war es gleich fertig mit der Trinkerei, dann drehte er den Kopf weg und fing an zu lachen. Zehn Minuten später schrie er vor Hunger. Mit elf Monaten konnte Rolf gehen, fiel jedoch pausenlos um, verletzte sich immerfort und stellte immer dummes Zeug an. Da wurde die Terrassentüre mit dem Hammer eingeschlagen, eine Rolle Klopapier ins Klo gestopft, so dass wir den Klempner rufen mussten, Kot wurde im ganzen Bad herumgeschmiert (inklusive Haut und Haar), Spielsachen gingen in die Brüche, Teller, Tassen und Gläser wurden verbannt und durch Plastikartikel ersetzt. Ich war es schon langsam gewohnt, dass alle Leute ‘Reissaus’ nahmen, wenn ich mit meinen Kindern auftauchte. Ich beklagte mich nicht mehr, denn ich glaubte, selber an der Misere schuld zu sein, dachte zuwenig streng zu sein, mich zuwenig konsequent zu verhalten und fühlte mich als Versagerin. Ich suchte in meinem alten Beruf als Dentalhygienikerin wieder Bestätigung. Meine Mutter hütete die Kinder während der Arbeitszeiten, in denen mein Mann nicht auf die Kinder aufpassen konnte. Auch sie war oft am Ende ihrer Kräfte und schob mir dann die Schuld zu!
Als Rolf etwas mehr als zwei Jahre alt war kam Kevin (per Kaiserschnitt) zur Welt. Kevin war von Anfang an ein Sonnenschein. Pflegeleicht, immer gut drauf, schlief viel, quengelte nie, war immer fröhlich und entwickelte sich prächtig. Er stellte so gut wie nie etwas an, beschäftigte sich mit sich und seinen Spielsachen, beteiligte sich kaum an den Streitereien der beiden Grossen. Ich dachte, das gäbe es nur im Roman. Ich war wie vor den Kopf gestossen - sollte am Ende doch nicht ich am Verhalten der beiden Erstgeborenen schuld sein. Ich begann zu zweifeln, doch noch lange nicht war ich so weit, an ein ADS zu denken, hätte ich aber damals schon davon gewusst, hätte ich wohl vieles anders gemacht. Eric stritt sich ständig mit Rolf und allen Kindern, welche ihm über den Weg liefen. Er kam oft verprügelt aus dem Kindergarten heim, sprach davon, dass er nicht mehr leben wolle. Rolf hingegen hatte ein sonniges Gemüt und eine nicht enden wollende Energie was Reden und Unordnung machen anbelangte.
Inzwischen war uns unser Heim zu klein geworden. Die 4 1/2-Zimmer Wohnung platzte aus allen Nähten. Wir beschlossen ein Haus zu bauen. Während der Bauerei wurde ich abermals (und ziemlich ungewollt) schwanger, verlor das Kind jedoch in der zwölften Schwangerschaftswoche. Ich hatte das Gefühl innerlich abgestorben zu sein, haderte mit dem Schicksal, war todunglücklich. Zusammen mit meinem Gynäkologen entschlossen mein Mann und ich, es doch noch einmal zu versuchen. Zwei Monate später war ich schwanger mit Urs. Wir waren inzwischen in unserem neuen Heim, doch die Freude am schönen Haus währte nicht lange. Eric und Rolf leisteten ganze Arbeit. Sie schlugen mit dem Hammer gegen die neuen Holztüren, ‘bearbeiteten’ die Wände mit Schraubenziehern, Rolf drehte den Wasserhahn im Pissoir auf, nachdem er den Abfluss zugestopft hatte und überschwemmte das neue Haus vom Dach bis zum Keller mit Wasser. Das Wasser mussten wir mit Bautrocknern wegsaugen lassen. Die Kabel dieser Geräte wurden von Rolf mit der Schere durchtrennt - willst Du noch mehr Einzelheiten hören? Kevin hatte zu der Zeit einen Tic entwickelt. Alles was ihm unter die Schere kam wurde zerschnitten: Kissen, Bettdecken, Kleider, Spielsachen. Ich war im sechsten Monat schwanger als Eric (mit sechs Jahren) den Blinddarm operieren lassen musste. Danach war er noch aggressiver und unruhiger. Die Kindergärtnerin sagte mir: ‘Eric ist untragbar, aggressiv, unruhig. Wenn ich noch so ein Kind hätte, hätte ich das Gefühl ich habe den Beruf verfehlt!’
Die Monate vergingen. Sechs Wochen vor dem errechneten Termin begannen die Wehen, die Gebärmutter riss. Urs wurde notfallmässig zur Welt geholt und musste auf die Kinderintensivstation, gottlob nur für kurze Zeit. Nach zehn Tagen waren wir beide Zuhause, wo der grosse Rummel wieder losging. Eric besuchte auf Anraten des Schulpsychologen eine Psychomotoriktherapie, welche ihm recht gut zu tun schien. Eric war inzwischen eingeschult worden und die Lehrerin war ebenfalls mit ihrem Latein am Ende. Von ihr kam der Hinweis, es könnte vielleicht noch ADS sein. Es erfolgte der Weg zum Kinderpsychiater. Wieder war ich schuld - kein ADS. Ich hätte eben nicht arbeiten sollen. Als Eric in die zweite Klasse kam, war ich endgültig kurz davor, mich selber in die Nervenklinik einzuweisen. Ich schrie nur noch herum (was mir prompt Kritik der Nachbarn eintrug), oft rutschte mir nicht nur die Hand aus (was mir heute noch unendlich leid tut), ich war am Ende. Die allerletzte Möglichkeit sah ich in meinem Kinderarzt, welcher Eric von Geburt an kannte. Ich sprach ihn darauf an. Er lächelte verlegen und meinte, er warte schon lange darauf, dass ich zu ihm käme. Er sage ganz bewusst nichts, bevor nicht Probleme im Umfeld eines Kindes entstünden. Er habe unsere Familie jedoch schon lange im Auge und habe mich nicht umsonst bei jedem Besuch nach Erics Wohlbefinden gefragt. Er beschäftige sich seit Jahren mit dem Problem ADS und Eric erscheine ihm als ein typischer Fall. Ob ich was dagegen hätte, wenn er den Jungen abkläre. Ich war glücklich - endlich ein Arzt, der mich ernst nahm, einer der mir glaubte, was ich schilderte, einer der nicht bei mir den Fehler suchte.
Jetzt ging alles sehr schnell - musste es auch, denn Eric war schon acht. Der neunte Geburtstag ist bei uns der Stichtag, ob unsere Kinder noch Anspruch auf Invalidenleistung haben oder nicht. Nach dem neunten Geburtstag hast du keine Chance auf Leistungen und die Krankenkasse übernimmt nicht alle Therapien. Wir hatten Glück. Eric wurde erneut abgeklärt: Eindeutig ADS. Wir wollten mit Verhaltenstherapien eine Besserung erzielen. Wir versuchten zusätzlich mit Kinesiologie Erics unausgeglichenes ‘ich’ auszubalancieren, aber erfolglos. Bachblüten, Homöopathie, Fussreflexzonenmassage, alles versagte. Bald entschlossen wir uns für einen Versuch mit Ritalin. Was soll ich sagen? Ich fühlte mich nach mehr als acht Jahren zum ersten Mal wohl in Gegenwart meines Sohnes! Mir war bald einmal klar, dass auch Rolfs Verhalten in dieselbe Richtung ging. Er wurde ein halbes Jahr später abgeklärt und die Ritalinthearpie begann.
Die ganze Geschichte ist jetzt 4 Jahre her und mir geht es gut. Wir sind eine glückliche Familie. Wir haben die Behinderung unserer Kinder in unseren Alltag eingeplant und kommen recht gut damit zurecht. Natürlich ist Konsequenz das A und O. Ritalin SR (slow release) ist die retardierte Form des Ritalins. Die Wirkungsdauer beträgt ca. 8 Stunden. Die Wirkung setzt jedoch erst nach etwa zwei Stunden ein, solange dauert es bis die äusserste Schicht der Filmtablette genügend Wirkstoff abgibt, um eine sichtbare Wirkung zu zeigen. Wir starten deshalb mit einer ‘normalen’ Tablette. Bei Rolf ist das eine Ganze, bei Eric genügt eine Halbe. Zugleich wird das SR verabreicht. Wenn dann die Wirkung des normalen Ritalins nachlässt, ist die Wirkung des SR voll aktiv. Durch eine weitere SR um 13.00 Uhr , entsteht kein ‘Loch’ und die Kinder sind vom Morgen bis um 21.00 Uhr ausgeglichen. Keine Schwankungen, keine Hochs und Tiefs wie beim herkömmlichen Ritalin. Allerdings ist das Mittel sehr teuer und wird nur von der IV (Invalidenversicherung) übernommen. Dazu kommt die Nebenwirkung: Sie haben so gut wie keinen Hunger. Dadurch wachsen sie etwas langsamer als normal. Bei Rolf hat das sogar zum Stillstand geführt. Ein latent vorhandener Wachstumshormonmangel kam voll zum Tragen, so dass wir Rolf nun täglich Somatropin (menschliches Wachstumshormon) spritzen müssen. Er ist in den letzten zwei Jahren keinen Zentimeter gewachsen, seit Therapiebeginn vor zwölf Monaten aber schon um ganze acht Zentimeter. Bei uns übernimmt die Invalidenversicherung alle Kosten (Therapie, Arzt, Medikamente usw.) sofern das Kind vor dem neunten Geburtstag abgeklärt und diagnostiziert wurde. Das erleichtert einiges. Sonderschulen wie Schulzentren für innovatives Lernen, Privatschulen mit speziell ausgebildeten Lehrern für ADS-Kinder usw. (ausser heilpädagogische Schulen, welche vom Arzt verschrieben wurden) werden allerdings nicht bezahlt. Es werden lediglich staatliche Kleinklassen oder integrierte Kleinklassen bewilligt. Der Rest geht auf unsere ‘Kappe’. Unsere Kinder können dank hervorragender Lehrer und dank Ihrer überdurchschnittlichen Intelligenz in die normale Schule gehen. Ihre Intelligenz könnten sie allerdings nicht ausschöpfen, hätten Sie nicht die Unterstützung durch Ritalin.
Ich habe vor zwei Jahren, nachdem die ganze Geschichte sich zu einem guten Ende gewendet hat, ein eigenes Geschäft gegründet. Habe mir einen Kindheitstraum erfüllt. Mein Tag hat durchschnittlich siebzehn Stunden. Ich wollte ausbrechen für die Zeit, wenn meine Kinder in der Schule sind, wollte etwas Eigenes machen, anstatt immer nur Herd, Kinder und Wäsche zu hören. Ich habe mein eigenes Ventil gefunden, mit meiner eigenen Hyperaktivität zurecht zu kommen. Ich nehme kein Ritalin. Denke oft daran, wie ich als Kind war und kann nur neuste wissenschaftliche Forschungen bestätigen, dass ADS eine erbliche Sache ist. Ich selber habe gelernt damit umzugehen, auf meine eigene kreative Weise die Dinge anzupacken. Beschäftige mich oft mit meinen Kindern und deren Problemen und habe meinen inneren Frieden gefunden. Meine Erklärung, warum ich als Kind immer abseits stand, das schwarze Schaf war, von allen gehasst wurde, ist, dass ich selber ein ADS-Kind war (und bin).
Ich liebe meine Familie über alles und werde alles daran setzen, dass meine Kinder nicht das erleben müssen, was ich erlebt habe. Ich stehe zu meinen Kindern in jeder Beziehung. Nie wieder werde ich ihnen in den Rücken fallen. Ihr Selbstwertgefühl ist klein genug. Der tägliche Kampf spornt mich an, die Erfolge bestärken mich. Die Jahre wirken heilsam. Irgendwann werde ich zurückschauen und sagen: Gemeinsam haben wir's geschafft."


5.1.2. „Meine Einstellung zu Ritalin"

„Auch ich war sehr skeptisch, was Ritalin angeht, vor allem, weil das Medikament ja alles andere als harmlos ist. Nachdem ich aber an meinen Kindern die Wirkung dieses Medikamentes erleben durfte, habe ich meine Meinung geändert. Ich bin durchaus der Meinung, dass es Fälle gibt, in denen ich Ritalin nicht als das Mittel der Wahl ansehen würde, zum Beispiel bei ADS mit wenig Hyperaktivität, nur leichten Wahrnehmungsstörungen und bei Kindern deren Motorik nur leicht eingeschränkt ist. Das muss von Fall zu Fall vom Facharzt entschieden werden und ich meine Facharzt, wenn ich das sage. Ich denke, dass ein Feld-, Wald- und Wiesenarzt nicht die Erfahrung hat, das zu beurteilen. Die Verschreibung von Ritalin gehört in die Hände von Pädiatern und auf ADS spezialisiertes Fachpersonal. Ganz wichtig ist es, die Kinder regelmässig (4-6 mal jährlich) ärztlich zu kontrollieren, denn die paar wenigen Nebenwirkungen, die das Medikament hat, sind nicht zu unterschätzen. Ich weiss von Fällen, wo das Wachstum zum Stillstand kam, Appetitlosigkeit zu enormem Gewichtsverlust führte und gar Tics auftraten, die ein Absetzen des Medikamentes nötig machten. Trotz allem bin ich nach wie vor überzeugt, dass das Medikament, richtig eingesetzt, ein Segen für alle Kinder und Eltern mit einem ADS-Fall in der Familie ist. Wir können erst seit etwas mehr als vier Jahren ein einigermassen normales Familienleben führen. Vorher war das nicht möglich. Was aber das Schlimmste war: Das Selbstvertrauen der Kinder war auf dem Nullpunkt angekommen. Sie fühlten sich als Versager, als zweitrangige Menschen. Jetzt wo sie mit Stimulanzien behandelt werden, hat sich die Situation verändert. Die positiven Seiten unserer Kinder werden durch das weniger starke, auffällige Verhalten unserer Kinder jetzt sichtbar. Man entdeckt Talente, welche vorher gar nicht erkennbar waren, weil unsere Kinder gar nie dazu kamen sie zu zeigen. Ich würde das etwa so beschreiben: Wenn ein Fehler in der Software vorliegt und der Computer schon beim Aufstarten am Morgen wieder abstürzt, dann kann man den ganzen Tag nicht an das eigentliche Programm herankommen. Hat man aber den ‘Fehler’ beseitigt oder behoben, dann kann man die Programme abrufen und das ‘Ding’ kann enorme Arbeit leisten. Habe ich also eine fehlerhaft funktionierende Hirnchemie, dann kann ich mit der fehlenden Substanz nachhelfen und plötzlich kann das Gehirn wieder so arbeiten, wie es sollte. Wem würde es einfallen, einem Diabetiker das lebensnotwendige Insulin zu verwehren?
Unsere Kinder sterben zwar nicht, wenn wir ihnen das Ritalin nicht geben, doch geht ihre Persönlichkeit, ihre Seele unter Umständen zu Grunde. Und das ist nicht weniger schlimm, zumal viele ADS-Jugendliche Suizidversuche unternehmen, weil sie sich von der Welt nicht akzeptiert fühlen.
Ich möchte hier anfügen, dass ich früher eine vehemente Kritikerin war, was die Erziehung anderer Eltern anbelangt. Heute, wo ich selber zwei äusserst schwierige ADS-Kinder habe und zwei nicht weniger schwierige noch-nicht-ADS-Kinder, bin ich davon abgekommen, anderen Eltern vorzuschreiben, was richtig ist und was nicht. Jede Familie muss das für sich selber herausfinden und damit leben. Jedem der sagt, dass ADS eine Modekrankheit ist, dem sei gesagt: Mode oder nicht Mode, es ist keine neue Krankheit, es gab sie schon früher, nur waren damals die Toleranz und der Raum für solche Kinder noch da oder aber diese Kinder wurden zum schwarzen Peter, Hans Guck in die Luft, Stuwelpeter, Max & Moritz und wie sie alle heissen gemacht. Böser Wille, sei es der Kinder oder der Umwelt, steckt in keinem der Fälle dahinter. Es ist halt so, wer nicht in die Norm passt (und wer tut das schon), muss mit Kritik rechnen. Mich hat in all den Jahren, als ich nicht wusste, was mit meinen Kindern los ist, die Kritik der Umwelt fertig gemacht. Da hiess es, ich hätte meine Kinder nicht im Griff, meine Erziehung sei zu lasch oder gar und ‘Was - will die jetzt noch ein viertes Kind, wenn sie die anderen drei schon immer anschreit’.
Tja und heute, da wir um die Behinderung unserer zwei ältesten Buben wissen und sie wirksam für uns und das Umfeld mit Ritalin behandeln, jetzt müssen wir immer wieder Kritik einstecken, von wegen, ‘Ihr wollt ja bloss Eure Ruhe haben’. Allen sei an dieser Stelle gesagt: Ihr könnt gerne zwei Wochen meine Kinder ohne Ritalin haben, Ihr bringt sie freiwillig wieder zurück, und das vor der Frist, und keiner wird je wieder etwas von konstruiertem Krankheitsbild oder so reden. Für mich ist es wichtig zu wissen, dass an der ganzen Problematik meiner Kinder keine erzieherischen Fehler schuld sind, sondern eine körperliche Behinderung vorliegt, für die niemand etwas kann, am wenigsten die Kinder selber.
Das Suchtverhalten im Erwachsenenalter, dürfte, wenn man den Studien glauben kann, eher kleiner sein bei den Kindern, welche mit Ritalin behandelt wurden, als bei solchen, welchen das Medikament vorenthalten wurde. Denn man kann sich ja vorstellen, dass eine stabile Person einiges mehr an Belastung aushalten kann, als eine solche, welche immer wieder von der Umwelt in Frage gestellt wurde, weil sie eben anders ist. Im Vergleich dazu die Gesamtbevölkerung, welche nicht besser abschneidet, als die ADS-Kinder welche mit Ritalin behandelt wurden. Meinen Kindern muss ich das Medikament regelmässig bereitlegen, damit sie es nicht vergessen - bin ich nach etwas süchtig, dann vergesse ich bestimmt nicht es einzunehmen. Ich betone, dass ich weder bei einer Chemiefirma arbeite, noch irgendwelche Aktien derselben besitze.
Mir als Mutter geben die monatlichen Treffen einer Selbsthilfegruppe immer wieder Kraft und Impulse. Das Gespräch mit anderen Eltern, welche zum Teil weniger stark betroffene Kinder haben, zum Teil aber wesentlich schwierigere Fälle als die meinen, öffnet die Sicht auf die ganze Problematik. Solange Lehrer, Ärzte, Psychologen und Therapeuten nicht bereit sind an einen Tisch zu sitzen und zum Wohl des Kindes eine Lösung zu suchen, solange stellt sich für mich nicht die Frage ‘Ritalin - ja oder nein?’, solange ist für mich der Fall klar: Ohne Ritalin geht es nicht in unserer Leistungsgesellschaft. Und selbst wenn - ich weiss nicht ob ich darauf verzichten würde, denn dann wären meine Buben die wilden Neandertaler von damals, die aufeinander losprügeln, statt die aufgeweckten Buben von heute, die miteinander fröhlich im Schwimmbecken planschen.
Antoine de Saint Exupéry hat in seinem Buch ‘Le petit Prince’ das ‘Enfant lunatic’ (das ADS-Kind ohne Hyperaktivität) sehr gut gezeichnet. Doch seien wir ehrlich: Hätte er eine Chance ohne Ritalin auf unserer Erde? Sowenig wie Michel von Lönneberga, Pippi oder Dennis The Menace. Wir lachen und lächeln über diese Filme, doch sind wir selber betroffen, ist einem alles andere als um's Lachen zumute. Ich kann heute dank Ritalin wieder gut lachen, und was nicht weniger wichtig ist, ich kann trotz Ritalin gut schlafen, weil ich weiss, dass ich für meine Kinder die richtige Wahl getroffen habe."


5.2. Weitere Berichte


5.2.1. Anna, Mutter von zwei Kindern mit einer ADS

„Ich habe zwei siebenjährige Töchter - Zwillinge - bei beiden wurde vor drei Jahren eine ADS durch eine Kinderpsychiaterin diagnostiziert Als die Mädchen 2 Jahre waren, habe ich mich von ihrem leiblichen Vater getrennt. Sie können sich aber nicht mehr daran erinnern, inzwischen habe ich wieder geheiratet und der neunjährige Sohn (aus 1. Ehe von meinem Mann) lebt auch mit uns. Wir wohnen in einer eigenen Doppelhaushälfte mit einem grossen Garten mit viel Umschwung. Die Zwillinge gehen nun in die erste Klasse, sind mittelmässige Schülerinnen und brauchen viel Unterstützung und Hilfe, die ich ihnen nicht immer bieten kann, da ich drei Tage pro Woche arbeite.
Früher war in unserer Familie die Hölle los: Gereizte Spannung, Streit und Geschrei, Isolation, niemand wollte mehr Kontakt zu uns, was ich auf das auffällig aggressive Verhalten der beiden Mädchen zurückführte. Die Diagnose ADS löste dann enorme Erleichterung bei mir aus, endlich hatte ich eine plausible Erklärung für das Gebaren meiner Töchter. Seit vier Jahren nehmen beide nun 3-4x täglich Ritalin, inzwischen 4x5 mg pro Tag. Vor der Ritalintherapie wurden zuerst keine anderen Therapien oder Massnahmen ausprobiert, weil uns die Kinderpsychiaterin versicherte, meine Töchter wären zu stark betroffen, als dass auf eine medikamentöse Behandlung verzichtet werden könne. Anfangs dachte ich, dass alle Probleme dann durch die Pillen verschwinden würden, wurde aber bald eines Besseren belehrt und begann, mich über das Internet, über andere betroffene Eltern und Gleichgesinnte über das Medikament zu informieren.
Und doch hat die Therapie mit Ritalin an der gesamten Familiensituation etwas verändert: Endlich war ein Hauch von Harmonie zu spüren. Wir hatten bei Sarah zuerst leichte ‘Medikationseinstellungsprobleme’ und sie entwickelte leichte Tics und litt an starker Appetitlosigkeit. Aber beide Kinder wurden endlich von ihrer Umwelt akzeptiert. Vor allem Judith konnte wieder spielen, interessierte sich für die Umwelt, wollte körperliche Zuwendung, wurde sozial mehr angenommen, bekam Selbstvertrauen. Sarah reagiert zwischendurch drohend ablehnend gegenüber den Pillen, aber sie weiss nun, dass es sein muss.
Betroffenen Eltern würde ich in jedem Fall raten, einen Versuch mit Ritalin zu wagen, aber sich gleichzeitig eingehend über alles in Bezug auf das Medikament zu informieren (z.B. Dosierung). Ich halte mittlerweile sehr viel von der medikamentösen Therapie, jedoch bleibt auch bei mir noch eine grosse Unsicherheit wegen den Langzeitnebenwirkungen zurück. Leider gibt es dazu noch zu wenig fundierte Studien. Eigentlich finde ich grundsätzlich, dass wir Ritalin zu oft an Kinder verschrieben, die nur leichte Probleme haben, dadurch kommt das Medikament auch in Verruf als Leistungspille. Auf der anderen Seite wird es zu vielen ADS-Kindern durch Eltern oder Ärzte vorenthalten. Ich denke, diesen Kids könnten viele Enttäuschungen und Frustrationen erspart bleiben. Meine positive Einstellung bezüglich Ritalin gründet darin, dass sich durch das Medikament vor allem die Situation meiner Tochter Judith stark verändert hat, ansonsten wäre sie wohl isoliert auf der Sonderschule gelandet. Wenn ich bedenke, dass sie bereits mit vier Jahren den Wunsch geäussert hat, sterben zu wollen und ich sie dann heute als ein fröhliches Mädchen (mit kleinen Schwächen) erleben darf , dann nehme ich das Risiko möglicher ungeklärter Nebenwirkungen gerne in Kauf."


5.2.1. Maya, Mutter von einem Kind mit einer ADS

„Wir wohnen in einer kleinen Stadt. Ich habe drei Kinder: Nadia wird im Juli Siebzehn, Dorothee wird im August Neun und mein Antonio, um den es hier geht, wird am 27. April sieben Jahre alt. Ich bin geschieden. Dorothee und Antonio haben denselben Vater. Nadia brachte ich in die Beziehung schon mit. Ihr leiblicher Vater trank sehr viel, als er dann zum ersten Mal zugeschlagen hatte, trennte ich mich von ihm. Antonio war ein ‘Frühchen’. Am Anfang machte ich mir immer Vorwürfe und dachte ich bin Schuld, dass er so früh kam, weil ich jeden Tag diesen betrunkenen Mann zu Hause hatte, es immer Steit gab und ich einfach keine Minute zur Ruhe kam. Jetzt habe ich einen ganz lieben Mann gefunden, der mir zur Seite steht. Wir helfen uns gegenseitig, wenn der andere mal mit den Nerven ganz unten ist, denn Antonio ist ein schwieriges Kind. Aber er kann auch total lieb sein, das kommt ganz auf seine Verfassung an: Am einen Tag ist er total sensibel, wenn man da einen etwas strengeren Ton anschlägt, dann weint er gleich und ein anderes Mal schreit er heftig zurück.
Zur Schule: Antonio geht hier in eine Förder- und Diagnoseschule. Am Anfang war ich echt froh, dass er die Möglichkeit bekam und dort einen Platz bekam, aber das Umfeld in der Schule ist nicht so toll. Manchmal wenn ich morgens ins Schulhaus komme und höre, wie die Schüler den Rektor beschimpfen, da wird mir echt übel. Da frage ich mich manchmal, ob dieser Ort der richtige Platz für meinen Jungen ist. Antonio wird auch oft geärgert, weil er der Kleinste ist (er ist nur 106 cm gross) und er kriegt dann auch oft die Aggressivität von den Grösseren zu spüren.
Antonio bekommt schon seit dem Kindergarten Ritalin, weil er da für alle nicht mehr tragbar war. Seine Erzieherin betonte jedoch immer, er sei schon ein sehr liebenswertes Kerlchen, aber das Problem war, dass keiner mit ihm spielen wollte, weil er mit seiner Art ständig aneckte, zum Beispiel weil er ständig die ‘Holzklötzetürme’ anderer zerstörte. Die Erzieherin meinte, das geschehe nicht mutwillig, sondern aus Einsamkeit. Antonio bekommt jetzt jeden Tag sein Ritalin. Früher machten wir in den Ferien immer eine Pillen-Pause, aber da war er nicht zu ertragen (Rebound-Effekt). (Dosis: Morgens um 7 Uhr eine 3/4Tabl.; Morgens um 10 Uhr eine 3/4Tabl.; Mittags um 13 Uhr eine 1/2Tabl.; Nachmitt.um 16. Uhr eine 1/4Tabl.)
Zur Diagnose war es ein weiter Weg: Ich war in einer vierwöchigen Mutter-Kind-Kur, wo er wegen seines auffälligen Verhaltens in eine Heilpädagogische Gruppe aufgenommen wurde. Dort wurde er genau beobachtet und fiel in einer Gruppe von 8 Kindern sofort auf. Die Leiterin der Gruppe übernahm ihn dann selbst und machte mit ihm allein eine Therapie, soweit wie das eben in vier Wochen überhaupt möglich ist. Sie sagte dann, ich solle auf jeden Fall zu Hause meinen Arzt und einen Psychologen aufsuchen, um Antonio richtig abklären zu lassen.
Ich ging dann zum Psychologen, der schaute sich Antonio eine halbe Stunde an und sagte zu mir, er sei eben nur ein bisschen aktiver als andere Kinder. Ich hatte aber das Glück, bei einem der besten Kinderärzte der Umgebung zu sein, der auch noch seit vielen Jahren Erfahrung hat mit ADS. Er sagte zwar Anfangs auch, Antonio brauche eine absolut konsequente Erziehung und eine strenge Führung, dann würde das Zusammenleben mit ihm vielleicht besser klappen - Fehlschlag - Ich versuchte es mit Verständnis und dann mit Konsequenz, aber ich kam einfach nicht mehr weiter. Nervlich war ich total am Ende, konnte keine Nacht schlafen, denn er wachte 2-3mal pro Nacht auf und rief nach mir und hörte auch erst auf wenn man zu ihm kam. Der nächste Massnahmevorschlag war eine sogenannte ‘Festhaltetherapie’ (vgl. Grissemann 1986, 126-146). Ich las ein Buch darüber, das der Arzt mir empfohlen hatte, doch das traute ich mir nicht zu - ich konnte es einfach nicht. Wir haben leider keine anderen Therapien ausprobiert, weil wir nichts Geeignetes gefunden haben. Ergotherapie wäre wohl nicht das Richtige.
Dann bekam Antonio mit 4 ½ Jahren einen Fieberkrampf und musste in die Uniklinik, wo sein extrem unruhiges Verhalten auch auffiel. Ziemlich schnell bekam ich da einen Termin bei einem Psychologen. Dann wurden Tests gemacht: Fragebögen über Fragebögen, im Kindergarten, zu Hause und schliesslich beim Kinderazt. Dann kam die Sprache auf Ritalin. Der Arzt gab mir eine Probe mit und ich hatte den Auftrag, Antonio zweimal täglich eine Tablette zu verabreichen. Sollte sich aber nach zwei Tagen nichts an seinem Verhalten ändern, solle ich sie sofort wieder absetzten. Irgendwie war ich dann schon in einer Zwickmühle: Sollte ich oder sollte ich nicht meinem kleinen Antonio schon mit knapp fünf Jahren Tabletten geben? Ich hatte Angst vor einer eventuellen Sucht, da Ritalin ja diesbezüglich als sehr umstritten gilt. Mein Arzt nahm sich dann abends nach der Sprechstunde sehr lange Zeit und diskutierte alles mit mir aus, nahm mir die Angst.
Antonio bekam dann Ritalin. Nach der ersten Dosis war er etwas apathisch und ich dachte schon: ‘Oh Gott, was hast du da deinem Kind gegeben?’ Ich überlegte mir gut, ob ich ihm die zweite Dosis überhaupt geben sollte. Doch er war so verständig und so entschied ich mich dann doch dafür. Er war wie ein anderes Kind, natürlich kein willenloses Monster, aber das Präparat wirkte irgendwie.
Die endgültige Diagnose ADS hat bei uns vor allem ausgelöst, dass wir sehr viele Bücher gelesen haben und nun versuchen, ruhig aber bestimmt und konsequent mit Antonio umzugehen. Aber leider klappt es nicht immer, gerade heute habe ich mich dabei ertappt, wie ich ihn ungeduldig ‘angefaucht’ habe und er gleich zu weinen anfing und sagte: ‘Warum schreist du mich an?’ Es tut mir dann immer gleich leid, aber manchmal treibt er es wirklich auf die Spitze, so dass ich einfach nicht mehr anders kann als Schimpfen. Es erscheint dann, als habe er wieder einmal mehr gewonnen und es geschafft, uns in die Enge zu treiben. Die Situation in unserer Familie hat sich insoweit verändert, dass wir einfach anders mit ihm umgehen. Wenn er tobt, stelle ich ihn in sein Zimmer und sage: ‘Wenn du fertig bist mit Toben, kannst du wieder kommen.’ Am Morgen zum Beispiel sage ich bestimmt fünf Mal: ‘Komm jetzt oder ich fahre ohne dich.’ Meist reagiert er dann erst, wenn ich schon zehn Meter mit dem Auto losgefahren bin und steigt dann rasch ein.
Die Schulsituation hat sich auch verbessert seit wir die richtige Medikamenteneinstellung gefunden haben: Seine Konzentration ist jetzt viel besser. Er erledigt seine Matheaufgaben ganz toll alleine, nur beim Schreiben muss ich noch immer dabeisein. Auffallend sind aber immer noch seine Arbeitsblätter: Die haben alle Eselsohren. Einmal sind die Kinder zum Schwimmen gegangen und da hat die Lehrerin nicht ans Ritalin gedacht. Sie berichtete mir dann, dass Antonio sich total unmöglich benommen hätte. Wenn aber alles gut geht, hat er die Möglichkeit nach der ersten Klasse in die Regelschule zu wechseln.
Antonio hat Ritalin anfangs verabscheut, wenn ich nicht hingesehen habe, hat er es unter dem Teppich verschwinden lassen. Ich dachte dann immer, es wirke gar nicht, bis ich dann die Tabletten beim Putzen fand. Dann kontrollierte ich ihn regelmässig bei der Einnahme. Heute geht es alleine, ich versuchte ihm immer wieder zu erklären, wozu die Pille gut sei, dass er sich einfach besser konzentrieren könne, wenn er sie nehme. Seit nun auch ein anderer Junge in seiner Klasse Ritalin nimmt, fällt es ihm auch nicht mehr schwer. Nebenwirkung gibt es nur eine: sein Appetit ist sehr schwankend.
Informationen über Ritalin gibt es überall. Aber ich denke, dass es am besten ist, wenn man sich bei dem Arzt seines Vertrauens darüber aufklären lässt. Eltern, die noch keine Erfahrung haben, würde ich nur zu Ritalin raten, wenn die Diagnose ADS hundertprozentig feststeht und scheinbar nichts mehr hilft. Regelmässige Blutuntersuchungen und für das Kind geeignete zusätzliche Therapiemassnahmen sind meiner Meinung nach ein Muss.
Die Entwicklungstendenzen in Bezug auf die Verschreibung von Ritalin erschrecken mich etwas, zuerst dachte ich: ‘Toll, ich bin nicht allein, es geht anderen auch so!’ Nun hoffe ich nur, dass auch wirklich alle Kinder die Ritalin kriegen hundertprozentig diagnostiziert sind. Kürzlich habe ich in einer Zeitung gelesen, dass angeblich Ärzte Ritalin ohne zusätzlichen Massnahmneplan verschreiben, mit der Argumentation, dass allein Ritalin sinnvoll sei - dies beängstigt mich schon.
Antonio macht übrigens eine Verhaltenstherapie, sonst hätte ich Ritalin nicht weiter bekommen. Ich finde es immer noch nicht so toll, dass ich ihm Tabletten gebe, aber ich sehe auch die Chancen, welche dem Jungen dank Ritalin geboten werden. Die Blutwerte sind in Ordnung, in die Therapie geht er auch gerne und ich versuche einfach alles zu machen, um ihm ein möglichst normales Leben bieten zu können, denn ich hab ihn total lieb und möchte ihn nie mehr missen meinen kleinen ‘Hypie’."


5.2.1. Andrea - Bericht einer Erwachsenen mit einer ADS

„Ich bezeichne mich selber als eine 32-jährige ADSlerin, aber Ritalin war für mich noch nie ein Thema. Warum ich gegen Ritalin bin? Ich finde es furchtbar, dass unser System so ausgerichtet ist, dass ‘keine Zeit’ bleibt, um auf Kinder mit einer ADS einzugehen. Anstatt dass die Schulen endlich umdenken und darauf eingehen, dass es Kinder gibt, die anders lernen, anders arbeiten, anders denken, wird diesen Kinder Psychopharmaka verabreicht, damit sie wieder in die Norm passen und sie nicht stören. Die Kinder haben auch die Nase voll davon, ständig als ‘nicht richtig’ angesehen zu werden und sind froh, sich endlich konzentrieren zu können. Auf diese Weise züchten wir uns einen Haufen pillenabhängiger Kids heran. Das klingt jetzt wirklich sehr krass - ich mache meinem Ärger darüber heute einfach mal Luft.
Ich war selber ein ADS-Kind und bin heute noch ein sogenannter ‘Hunter’."
(vgl. These von Thomas Hartmann: Nach seiner Meinung tragen Menschen mit einer ADS noch die Gene in sich, die einst das Ur-Verhalten der Menschen als Jäger prägten. Mit dem Übergang von der nomadisierenden in eine sesshafte Gesellschaft, seien die Jäger in die Defensive geraten und ihre Tugenden wurden als eher störend als nützlich erachtet Kettler, Wegener 2000, 14.)
„Ich glaube, ich kann abschätzen, was in diesen Kindern vor sich geht. Und auch, wie man sich als Erwachsener fühlt, in einer Welt, die einfach nicht für einen geschaffen scheint. Ich gelte als unzuverlässig, sprunghaft und werde von vielen Gleichaltrigen nicht ernst genommen. Jahrelang habe ich versucht, als Huhn in einer Welt von Enten zu leben. Erst nachdem ich bei mir selber auch die Diagnose ADS stellen konnte, hörte ich auf, mich selbst fertig zu machen und mich selbst dafür zu hassen, dass ich nicht so bin wie andere. Ich habe gelernt, auf meine Fähigkeiten einzugehen statt auf meine angeblichen Defizite. Eine Zeitlang war ich drogen- und alkoholabhängig. Für einen ‘Hunter’ typisch! Selbstmedikation, nennt die Psychologie das. Denn es gibt Drogen, die eine ähnliche Wirkung haben wie Ritalin. Die Straßendroge Speed (Amphetamin) hat eine ähnliche Zusammensetzung wie Ritalin. Klar, die Dosierung war wesentlich höher. Und trotzdem: Ich kann mich noch sehr gut an meinen Entzug erinnern. Deshalb erschreckt es mich, mit welcher Selbstverständlichkeit heutzutage Kinder solch ein Psychopharmaka bekommen. Speed ist für seine Depressionen und Paranoia beim Absetzen in Fachkreisen bekannt!
Vielleicht ist es für einige Kinder sogar gut, Ritalin zu bekommen, wenn gleichzeitig daran gearbeitet wird, dass sie lernen, mit ADS umzugehen. Es ist gut, dass sie sich erstmal sicher und wohl fühlen, statt immer wie ein Störfaktor.
Wahrscheinlich ist es auch hier wie bei jeder Grundsatzdiskussion: Weder die eine noch die andere Seite hat absolut Recht. Denn jeder Mensch ist einzigartig und von daher muß in jedem Einzelfall individuell entschieden werden, was gut ist.
Ich bin nicht grundsätzlich GEGEN Ritalin. Ich bin FÜR Aufklärung und Beratung/Betreuung der Eltern und Familien, FÜR Schulung des Lehrpersonals, FÜR entsprechenden Unterricht, FÜR Selbsthilfegruppen, FÜR Lernberatung für die Kids, FÜR Forschung nach natürlichen Mitteln.
Es gab mal eine Zeit, in der Linkshändern auf die Finger geschlagen wurde, damit sie mit der ‘richtigen’ Hand schreiben! Heute ist das für uns absurd und wir schütteln den Kopf über derartige Methoden."
5.1. Zusammenfassung

Die verschiedenen Berichte betroffener Eltern zeigen klar auf, welche negative Wirkung ADS auf eine Familie haben kann. Die meisten haben sich jahrelang vergeblich bemüht, jemanden zu finden, der ihnen bei der Lösung ihrer Probleme beistand oder ihnen sagen konnte, warum ihr Kind so auffällig ist. Oft haben sie viel Zeit und Energie darauf verwendet, herauszufinden, wo die Ursachen des Verhalten ihres Kindes liegen. Die Schuld wurde dann meist zuerst bei ihnen selbst gesucht. Obwohl ADS mit Sicherheit nicht die Folge schlechter Erziehung ist, lässt die Symptomatik die Eltern für die Umwelt als erzieherisch unfähig erscheinen, so dass sie sich letztlich auch so vorkommen.
Die Diagnose ADS hat dann bei den meisten der Befragten eine enorme Erleichterung ausgelöst. Viele (Eltern und Betroffene) suchten dann auch selber den Austausch mit anderen bei Elternvereinigungen (z.B. elpos), über e-groups im Internet oder über andere ADS-Selbsthilfegruppen und - organisationen. Im Laufe der verschiedenen Therapien und in der Auseinandersetzung mit der ADS durch Fachleute, Literatur oder via Internet haben diese Eltern dann gelernt, das Verhalten ihres Kindes besser zu verstehen. Sie entwickelten neue Strategien, ihr Kind besser zu lenken, zum Beispiel durch vermehrte positive Bestätigung und durch konsequentes Einhalten von Regeln. Trotz Skepsis und Unsicherheit gegenüber Ritalin haben alle von mir befragten Eltern nach einiger Zeit einen Versuch mit einer medikamentösen Therapie als unterstützende Fördermassnahme gewagt, mit unterschiedlichen Erfolgen. Grundsätzlich wurde aber von erfreulichen Resultaten berichtet, von deutlicher Verbesserung der Familiensituation, von starken Verhaltensänderungen des Kindes und von einer höheren Akzeptanz der Umwelt.
Bei allen Befragten hatte die Einnahme von Ritalin starken Appetitmangel, bei einigen physische Wachstumsverzögerungen zur Folge.
Auffallend war auch, dass die Einstellung der betroffenen Kinder zu Ritalin von Gleichgültigkeit über stillschweigende Akzeptanz bis zu heftiger Ablehnung ging (vor allem bei Jugendlichen). Niemand der befragten Eltern berichtete von einer positiven Einstellung ihres Kindes zur Einnahme von Ritalin.
Eine Studie zu diesem Thema wurde an der Universität Illinois gemacht: Man untersuchte die Gefühle der Kinder, die Ritalin nahmen. 42 Prozent mochten Ritalin nicht, viele hassten das Medikament sogar, aber logen ihren Arzt über ihre Einstellung und die Einnahme an. Den meisten Kindern gefiel es nicht, wenn Kameraden von ihrer Ritalin-Einnahme wussten (Simonsohn 2001, 85-87).
Betroffene Erwachsene und Jugendliche mit einer ADS berichteten sehr unterschiedlich über ihre Einstellung zu Ritalin. Zur Sprache kam oft die Gefahr einer zu starken Somatisierung und Stigmatisierung der ADS durch die Einnahme eines Medikaments. Viele Betroffene haben nach einem langen Leidensweg im Erwachsenenalter gelernt mit ihrer sogenannten „Behinderung" ADS umzugehen. Einigen gelang es auch ihre vermeintlichen Schwächen zu kanalisieren und als Stärken im Berufsleben zu nutzen.



6. Persönliche Schlussfolgerungen

Ich habe aufgezeigt, dass die Gefahr nicht in der Medikation von Ritalin selber liegt, sondern im leichtfertigen Umgang und somit im möglichen Missbrauch (zum Beispiel bei fehlender diagnostischer Klarheit oder falscher Dosierung). Weiter wollte ich darauf aufmerksam machen, dass es in verschiedenen Fällen durchaus sinnvoll sein kann, Kinder mit einer ADS zeitlich begrenzt mit Ritalin zu behandeln. Eine vom Arzt verordnete medikamentöse Behandlung bedeutet in diesen Fällen eine starke Entlastung nicht nur für das Kind, sondern auch für die Eltern, die Lehrer und die gesamte Umwelt. Angesichts der steigenden Leistungsanforderungen des modernen Schulsystems kann die „Pille" bei manchen Kindern helfen, sich im Unterricht besser zu konzentrieren, sich weniger ablenken zu lassen. Sie ermöglicht den Kindern aus ihrer „Störenfried-" oder „Sündenbockrolle" auszubrechen.
Auffällige Kinder, welche mit ihrem Verhalten auf die Probleme ihres Lebens und ihrer Umwelt hinweisen, sollen aber nicht grundsätzlich mit Medikamenten ruhig gestellt werden. Auch wenn eine Ritalintherapie für ein erfolgreiches Behandlungsprogramm wesentlich sein kann, sollte sie nicht als primäre Massnahme oder einzige Behandlung ohne andere pädagogische oder psychologische Förderprogramme verabreicht werden. Eine sinnvolle Behandlung mit Ritalin sollte immer nur als EIN Aspekt, als EIN Baustein eines Ganzen angesehen werden. Folglich erachte ich es als zwingend, dass eine medikamentöse Behandlung immer zusammen mit anderen Formen der Intervention erfolgen soll. Ziel ist schliesslich, dem Kind zu helfen, angemessene Fähigkeiten, Einstellungen und Verhaltensmuster zu entfalten, damit es mit den täglichen Anforderungen des Lebens zurechtzukommen kann.
Es ist sehr wichtig, dass Eltern, Erzieher, Lehrer und andere Fachleute genügend wissen über die spezielle Problematik und den richtigen Umgang mit Kindern mit einer ADS und über die Gefahren und Chancen einer möglichen Ritalintherapie genügend informiert sind. Auf die Gefahr eines leichtfertigen Umganges mit dem Medikament, vor allem bei ungenügender diagnostischer Klarheit sollte immer hingewiesen werden. Faktoren wie Schwere der Symptome, die Wirksamkeit alternativer Therapiemethoden und erzieherischer Massnahmen, wie auch die Toleranz des Kindes gegenüber einer pharmakologischen Behandlung sollten zuerst überprüft werden, bevor an eine medikamentöse Therapie gedacht werden kann. Alle Betroffenen müssen sich der Tatsache bewusst sein, dass Ritalin nur als ein Hilfsmittel betrachtet wird, welches zwar einfach zu verabreichen ist und auch möglicherweise schnell Resultate zeigt, das aber unter Umständen Symptome verdeckt, die auf andere Ursachen zurückgehen. Eltern betroffener Kinder soll deshalb mit einer
gründlichen Aufklärung und einem Angebot heilpädagogischer Hilfestellungen den Zugang zu ihrem Kind leichter gemacht werden und sie sollen in ihrer Entscheidung bezüglich eines (oder keines) Einsatzes von Medikamenten in jedem Fall fachkundig unterstützt werden. Es müssen genügend Grundkenntnisse vorhanden sein, um verantwortungsvoll mit einer Verabreichung von Medikamenten bei Kindern mit einer ADS umgehen zu können. Denn nur wenn diese vorhanden sind, kann man in der Diskussion um Pro und Contra Ritalin differenzierter argumentieren und auch eine eigene Meinung vertreten.
Als Heilpädagogin ist es jedoch für mich selbstverständlich, jedes Kind als einzigartige Persönlichkeit zu betrachten. Gerade Kindern mit einer ADS wird es in unserer modernen Leistungsgesellschaft nicht leicht gemacht, den Bedingungen und Erwartungen der Umwelt zu entsprechen. Leider ist der Idealfall, Menschen, die nicht den gängigen gesellschaftlichen Normen und Verhaltensweisen entsprechen, Verständnis und Toleranz entgegenzubringen, noch weit von der alltäglichen Realität entfernt. Das Zusammenleben mit einem „ADS-Kind" erfordert von allen Mitmenschen sehr viel Geduld, Verständnis, Akzeptanz und Liebe. Meine wichtigste Aufgabe sehe ich also darin, dem einzelnen Kind die jeweils besten Voraussetzungen für eine umfassende, ganzheitliche Entwicklung zu bieten. Dabei muss ich stets sein Umfeld mit einbeziehen, kritisch hinterfragen und für seine besonderen Probleme sensibilisieren. Heilpädagogik verstehe ich in diesem Sinne gleichsam als eine verfeinerte, achtsame Pädagogik.
Es ist meine Aufgabe, mein Bestreben, dem Kind eine bestmögliche Integration in die Gesellschaft zu ermöglichen. Es geht aber auch darum, betroffene Eltern als kompetente Experten für die Lebenswelt ihrer Familien zu respektieren. Wer könnte besser über Vorlieben, kritische Situationen, Gewohnheiten und Alltagsprobleme ihrer Kinder Bescheid wissen? So liegt auch der Entscheid: „Ritalin - ja oder nein?" bei den Eltern selber und hängt stark von der Akzeptanz und dem Willen zur Mithilfe des Kindes ab. Eltern wissen sicher am besten, was sie ihrem Kind zumuten können und wollen.
Eine systemische Sichtweise von Problemen macht hier neben den individuellen Faktoren des Kindes mit einer ADS auch für die Faktoren des Lebensumfeldes sensibel. Eltern können engagierte Bündnispartner im Kampf um eine bessere Lebensqualität der Umwelt des betroffenen Kindes sein. Hier zeigt sich eine enge Verzahnung von systemischer Sichtweise und Kooperation mit Elternselbsthilfe-Gruppen (z.B. elpos). Im Rahmen einer interdisziplinären Zusammenarbeit gerade mit Einbezug der Eltern kann so möglichst früh eine sinnvolle Erziehung und individuelle Förderung beginnen (multimodales Förderkonzept oder andere Fördermassnahmen und Therapieformen/vgl. dazu Döpfner, Frölich, Lehmkuhl 2000, 34-37; Neuhaus 1996, 204-227; Grissemann 126-241), um dem Kind die schwerwiegenden sekundären Störungen der ADS zu ersparen. Gespräche zwischen allen Beteiligten sollten regelmässig stattfinden, konstruktiv und vertraulich gestaltet sein und sie sollten die Betreuung, das Wohlergehen und den langfristigen Umgang mit dem Kind, bei dem eine ADS diagnostiziert wurde, zum Ziel haben.


7. Zusammenfassung

Es ist wohl kein Geheimnis, dass Ärzte zunehmend für Ritalin als Basis-Therapie bei der Behandlung von Kindern mit einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung plädieren. Das Methylphenidat Ritalin gilt mittlerweile als primäres Mittel der Wahl einer geeigneten Therapie- oder Fördermassnahme, die Aufgeregtheit der Kinder mit einer ADS zu dämpfen und ihre gerade im Zusammenhang mit den Schulleistungsanforderung als wichtig erachtete Konzentrationsfähigkeit zu steigern.
Die genaue Symptomatik (Kernsymptome und fakultative Primärsymptome) einer ADS ist bei jedem Kind verschieden ausgeprägt. Allen gemeinsam ist, dass sie aufgrund von Wahrnehmungsdefiziten nicht ausreichend aufmerksam sein können. Wird die Störung nicht erkannt und nichts dagegen unternommen, erhöht sich die Gefahr einer verzögerten - oder einer Fehlentwicklung. Es kann als reaktive Konsequenz der Primärsymptome zu starken Verhaltensstörungen und Leistungsstörungen kommen.
Obwohl die Wirkung von Ritalin immer noch nicht genau geklärt ist und unerwünschte Nebenwirkungen hinreichend bekannt sind, bekommen mittlerweile immer mehr Kinder, bei welchen eine ADS diagnostiziert wurde, vor allem während der Schulzeit ihre tägliche Dosis Ritalin: Ein Ritual, welches weltweit heftige Debatten über den Wert und die Risiken einer medikamentösen Behandlung bei ADS ausgelöst hat. Befürworter anerkennen eine Ritalintherapie zwar als notwendiges, aber dennoch unverzichtbares Übel, als wichtigen oder einzigen Garant für ein mehr oder weniger befriedigendes Zusammenleben in Familie und Schule. Gegner lehnen jedoch eine Psychopharmakatherapie grundsätzlich als Manipulation der individuellen Persönlichkeit des Kindes ab. Die Häufigkeit der verordneten Medikation zeigt aber auch eine gewisse Machtlosigkeit der Gesellschaft gegenüber den unangenehmen Auffälligkeiten von „ADS-Kindern" und generell verhaltensauffälligen Kindern.
Eine Behandlung mit Ritalin sollte wirklich nur dann eingesetzt werden, wenn Kriterien wie eine hinreichende Diagnostik, Schweregrad der Symptomatik, Akzeptanz des Kindes, Wirksamkeit alternativer Therapiemethoden und erzieherischer Massnahmen im Vorfeld eingehend überprüft worden sind. Dies sind Grundvoraussetzungen, die bei einer Verschreibung von Ritalin nötig sind, wenn die Therapie professionell und zur Zufriedenheit durchgeführt werden soll. Es ist eine Tatsache, dass Ritalin nicht bei jedem Kind den gewünschten Erfolg bringt. Das Medikament ist kein Wundermittel zur Lösung aller Probleme, es kann in verschiedenen Fällen zwar unterstützend wirken aber nie kurativ. Eine medikamentöse Therapie mit Ritalin ist folglich ausschliesslich im Kontext zu anderen Therapien und Massnahmen sinnvoll (multimodaler Massnahmenplan).
Im Rahmen einer interdisziplinären Zusammenarbeit soll gemeinsam unter Berücksichtigung aller Faktoren nach geeigneten Lösungen gesucht werden. Es ist sehr wichtig, dass alle Parteien am gleichen Strick ziehen und das gleiche Ziel verfolgen. Therapeutische und pädagogische Massnahmen helfen, dass sich Verhaltensstörungen bessern und somit die Gesamtentwicklung gefördert werden kann. Darüber hinaus bleibt aber Eltern, Lehr- und Bezugspersonen die grosse Aufgabe, dem betroffenen Kind in der Erziehung gerecht zu werden, das heisst, die Gratwanderung zwischen Überforderung und Unterforderung anzutreten. Es gilt, diesen Personen den Rücken zu stärken, damit sie stets zu diesen Kindern halten und für sie eintreten können in unserer zuweilen intoleranten Umwelt.


8. Internet - Adressen

Mittlerweile gibt es im Internet ein breites Informationsangebot zum Thema ADS und Ritalin. Im folgenden Abschnitt wird auf eine kleine Auswahl an Adressen hingewiesen, welche sich ausführlich mit der konkreten Problematik befassen:

www.elpos.ch
ELPOS ist der Dachverband der regionalen Elternvereine für Kinder mit einer ADS resp. POS. Die Website bietet Informationen rund um das Thema, bietet Möglichkeiten zu Information und Kommunikation für Eltern, Fachleuten und Interessierten.

www.hypies.de
Die ausführlich, breite Homepage geführt von diagnostizierten Erwachsenen mit einer ADS bietet Tipps für Eltern und Betroffene, zahlreiche Links und Artikel zur Thematik ADS, ein Forum und Chat-Möglichkeiten für den Austausch der Leser untereinander und vieles mehr.

www.psychologie-online.ch/add/
ADD-Online stellt für Fachpersonen und andere Interessierte wissenschaftlich abgestützte Informationen über Diagnose und Therapie von ADS bei Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern bereit.
ADD-Online bezweckt die Förderung von Diskussion und Erfahrungsaustausch über ADS. Hinweise auf neue Publikationen, Informationen und Forschungsresultate zu ADS werden gerne hier entgegengenommen und veröffentlicht.

www.ritalin-kritik.de
Eine Site von Ritalin-Gegnern, welche die ADS als „Krankheit" in Frage stellt und sich deshalb auch vehement gegen eine Behandlung mit Ritalin wehrt. Hier findet man Hinweise auf Artikel in den öffentlichen Medien. Diese enthalten viele interessante Ansätze, die das Ausmaß der Ritalin-Vergabe vor Augen führen sollen.

www.p-a-r.org
Die amerikanische „Parents against Ritalin"-Homepage.

www.breggin.com/ritalin.html
Die Homepage des bekanntesten Ritalin-Kritikers Peter Breggin.
8. Literatur- und Quellenverzeichnis

Albrecht, H.: Die Pille für den Zappelphilipp macht Schule. Hyperaktive Kinder werden auf fragwürdige Weise mit Psychopharmaka behandelt. Auszug aus dem Internet: http://www.sonntagszeitung.ch/1998/sz21; 28.11.2000.

Bernau, S.: Hilfen für den Zappelphilipp: Das Selbsthilfe-Elternbuch. Freiburg im Breisgau 31995

Breggin, Peter R.: Talking Back to Ritalin. What Doctors Aren’t Telling You About Stimulants for Children. Monroe 1998.

Czerwenka, K., Bolvansky, R., Kinze, W.: Hyperaktive Kinder. Weinheim/Basel 1997.

Döpfner, M.; Frölich, J.; Lehmkuhl, G.: Hyperkinetische Störungen: Leitfaden Kinder- und Jugendpsychotherapie. Göttingen 2000.

Döpfner, M.; Schürmann, S.; Lehmkuhl, G.: Wackelpeter und Trotzkopf: Hilfen bei hyperkinetischem und oppositionellem Verhalten. Weinheim 1999.

ELPOS (Hrsg.): Warum Ritalin? o.J.

Grissemann, H.: Hyperaktive Kinder. Kinder mit minimaler zerebraler Dysfunktion und vegetativer Labilität als Aufgabe der Sonderpädagogik in der allgemeinen Schule. Ein Arbeitsbuch. Bern/Göttingen/Toronto 21986.

Herzka, H. S.: Kinderpsychopathologie: Ein Lehrgang. Basel 31981.

Hurrelmann, K.: Familien-, Schul und Freizeitstress. Weinheim/Basel 1990.

Kettler, S.; Wegener, F.: ADD, ADHD und Ritalin: Die neue Kreativität - Mehr Erfolg mit Hyperaktivität. Gladbeck 2000.

Kummer, L.: Mit Psychodrogen gegen aufmüpfige Kinder. In: Der Bund Nr. 75, 29.3.2000, 2.

Lehmkuhl, U.: Zauberpille für die Schule? Zur Behandlung hyperkinetischer Kinder mit Methylphenidat. Auszug aus dem Internet: http://www.hypies.com/ritalin; 28.11.2000.

Martinius, J.: Stimulantien. In: Nissen, G.; Eggers, Ch.; Martinius, J.: Kinder- und jugendpsychiatrische Pharmakotherapie in Klinik und Praxis. Berlin 1984, 84-104.

Neuhaus C.: Das hyperaktive Kind und seine Probleme. Berlin 51996.

Novartis (Hrsg.): Media Release: Judge dismisses complaint against makers of Ritalin. Auszug aus dem Internet: http:// www.pharma.novartis.com/news/releases.html; 13.3.2001.

Novartis (Hrsg.): Top 20 pharmaceutical products. Auszug aus dem Internet: http://www.info.novartis.com/investors/index_reports.html; 15.2.2001.

Ruf-Bächtiger, L.: Die Kinderärztin: Das frühkindliche psycho- organische Syndrom: Erscheinungsbild, Behandlung, Prognose. In: Ehrat, F.; Mattmüller-Frick, F. (Hrsg.): POS-Kinder in der Schule und Familie: Eltern, Lehrer, Ärzte und Therapeuten berichten über ihre Erfahrungen. Bern/Stuttgart/Wien 61985, 93-114.

Ruf-Bächtiger, L.: Das frühkindliche psychoorganische Syndrom: minimale cerebrale Dysfunktion; Diagnostik und Therapie. Stuttgart/New York 31995.

Ryffel, M.: Wann und warum helfen Medikamente? In: Thierstein, C.(Hrsg.): Unruhige, unkonzentrierte und auffällige Kinder Im Alltag - POS, ADS und HKS: eine Hilfestellung. Bern/Stuttgart/Wien 1998, 81-102.

Ryffel, M.: Die AKOS-Brille: Hinweise und Richtlinien zur Behandlung mit Stimulanzien bei der ADS. Auszug aus dem Internet: http://www.psychologie-online.ch/add/akos.htm; 6.3.2000.

Simonsohn, B.: Hyperaktivität. Warum Ritalin keine Lösung ist. Gesunde Strategien, die wirklich helfen. München 2001.

Spallek, R.: Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom. Ein kurzer Leitfaden zur Diagnostik und Therapie. Düsseldorf/Zürich 2001.

Steinhausen, H.: Psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen. Lehrbuch der Kinder- und Jugendpsychiatrie. München 31996.

Thierstein, C.(Hrsg.): Unruhige, unkonzentrierte und auffällige Kinder Im Alltag - POS, ADS und HKS: eine Hilfestellung. Bern/Stuttgart/Wien 1998.

Trott, G.-E.: Pillen für den Zappelphilipp? Medikation - Ritalin und andere Medikamente. In: Filtzner, T.; Stark, W. (Hrsg.): ADS: verstehen - akzeptieren - helfen. Weinheim/Basel 2000,270-280.

Trott, G.-E., Wirth, S.: Die Pharmakotherapie der hyperkinetischen Störungen. In: Steinhausen, H.-Ch. (Hrsg.): Hyperkinetische Störungen bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Stuttgart/Berlin/Köln 21995, 208-221.

Voss, R.; Wirtz, R..: Keine Pillen für den Zappelphilipp. Alternativen im Umgang mit unruhigen Kindern. Hamburg 21990.

Wolfensberger-Haessig, Ch.: Merkblatt: Das infantile psycho- organische Syndrom. In: Ehrat, F.; Mattmüller-Frick, F. (Hrsg.): POS-Kinder in der Schule und Familie: Eltern, Lehrer, Ärzte und Therapeuten berichten über ihre Erfahrungen. Bern/Stuttgart/Wien 61985, 29-35.


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